Kunstgriff
verkaufen?«
Er reagierte verwundert. »Dieses Haus wurde von meinem Urgroßvater gebaut und ist seitdem in Familienbesitz. Das allein wäre für mich Grund genug, es zu behalten. Wo sonst hätte ich eine so gute Möglichkeit, den Kids von der Straße eine Zuflucht zu bieten? Sie kennen die Adresse und wissen, dass sie jederzeit herkommen können. Warum sollte ich das aufgeben?«
»Und Rico?«
»Hör mir auf mit meinem Bruder!«, verlangte er verärgert.
Um das Gespräch in ruhigeres Fahrwasser zu lenken, erzählte Norma von einem indischen Rezept, das sie ausprobieren wollte, und nach einem unverfänglichen Austausch über Gewürze und Zutaten leerte sie das Wasserglas, gähnte hinter der vorgehaltenen Hand und zog sich in ihr Zimmer zurück. Sie legte eine CD von Paco de Luc ί a ein und machte es sich auf dem Bett bequem, um mit geschlossenen Augen auf die ersten Flamenco-Takte zu warten. Kaum setzte die Gitarre ein, gab das Handy Signal. Undine. Nicht zum ersten Mal rief sie nach 22 Uhr an, um ihrer Undercover-Assistentin einen Auftrag für den kommenden Morgen aufzudrücken. Norma fühlte sich versucht, das Gespräch zu ignorieren. Das Pflichtgefühl siegte.
»Kannst du in meine Wohnung kommen? Sofort?«
Undine klang so aufgewühlt, dass Norma nicht zögerte und versprach, in zehn Minuten dort zu sein. Sie brauchte acht Minuten, bis sie an der Haustür läutete. Der Summer ertönte umgehend. Sie stürmte nach oben und wurde im Treppenhaus von Undine erwartete, die einen hellen Leinenanzug trug und unter der Schminke blass wirkte.
»Es ist soweit!«
»Ein Zeichen von den Entführern?«
Undine flatterte aufgeregt mit den Händen. »Der Umschlag steckte draußen im Briefkasten, als ich vorhin nach Hause kam.«
Norma folgte ihr ins Wohnzimmer. Sie waren nicht allein: Regert erhob sich vom Sofa und trat ihr mit ausgestreckter Hand entgegen. Er wirkte jünger als Ende 40, wie sein Lebenslauf angab, ungeachtet der grauen Spitzen im dichten, dunklen Haar. Sein lässiger Stil – verwaschene Jeans und Polohemd – unterschied ihn von Lutz, der selbst in der Freizeit nicht auf Krawatte und Sakko verzichtete. Regert war ein Dutzend Jahre jünger als Lutz.
»Guten Abend, Frau Lienhop«, sagte er mit glatter Höflichkeit.
Sie erwiderte den Gruß zurückhaltend und wandte sich Undine zu. »Können wir unter vier Augen reden?«
»Nicht nötig! Gregor hat mir seine Hilfe angeboten, und dafür bin ich ihm sehr dankbar.«
Normas Blick traf Regert, der abwartend stehen geblieben war. »Bei allem Respekt, Undine, du kennst Herrn Dr. Regert seit wenigen Tagen. Findest du es nicht verfrüht, ihn in so eine delikate Angelegenheit einzuweihen?«
»Menschenkenntnis ist keine Frage von Tagen, sondern der inneren Überzeugung. Ich weiß, ich darf Gregor vertrauen. Und das solltest du auch, meine Liebe!«
Regert hüstelte gekünstelt. »Undine hat mir von dem Gemälde erzählt. Ausgerechnet der Jawlensky! Ein unglaublicher Verlust, und meine Verachtung für die Verbrecher, glauben Sie mir, ist unermesslich. Ich will einfach helfen, so gut ich kann, Frau Lienhop.«
Helfen oder spionieren? Wenigstens hatte er noch keine Ahnung von ihrem Versteckspiel.
»Herr Dr. Regert, ich wüsste nicht, was Sie in diesem Fall tun könnten.«
»Ehrlich gesagt, frage ich mich, Frau Lienhop, was ausgerechnet Sie als einfache Aushilfe bewirken wollen?« In seinem Ton schwang Häme mit.
Undine setzte zu einer Antwort an. »Sie ist eine …«
Norma schnitt ihr das Wort ab: »Ich bin eine langjährige Freundin! Undine hat mich von Anfang an ins Vertrauen gezogen.«
Ein warnender Blick hielt die Galeristin von einer weiteren Erklärung ab.
»Undine kann auf mich zählen«, sagte Regert wichtig. »Selbstverständlich respektiere ich ihren Wunsch, die Polizei nicht zu informieren.«
Norma sparte sich eine Antwort und betrachtete den braunen Briefumschlag auf dem Couchtisch. Darauf stand in Druckbuchstaben: › GALERIE ABENDSTERN ‹.
»Wer hat den Umschlag angefasst?«
»Nur ich«, beteuerte Undine.
»Und das Schreiben darin?«
»Niemand sonst.«
Norma bat um zwei Plastiktüten und eine Pinzette. Undine ging, um das Gewünschte zu holen.
Während sie warteten, sagte Regert mit unverhohlenem Spott: »Spielen Sie in Ihrer Freizeit gern Detektiv?«
Sollte das eine Anspielung auf die Begegnung in Biebrich sein?
Sie beantwortete die Frage mit einfältigem Grinsen. »Sie sagen es! Ich habe mal einen Kurs belegt.«
Gleich darauf zog sie
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