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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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den Brief mit der Pinzette aus dem Umschlag und steckte beides getrennt in die Tüten.
    Die Nachricht stand mit Bleistift und in eckigen Großbuchstaben auf ein weißes Blatt Druckerpapier gemalt:
     
    ›200.000 EURO IN KLEINEN NICHT
    NUMMERIERTEN SCHEINEN
    AM SAMSTAG 21. JUNI
    18.00 UHR
    RUSS FRIEDHOF
    SIEHE TAFEL
     
    KOMMEN SIE MIT DEM WAGEN
    KOMMEN SIE ALLEIN
    WENN NICHT DANN SÄURE AUF BILD !!!‹
     
    »Damit ist der Friedhof bei der Russischen Kirche gemeint«, folgerte Regert. »Dort liegt Jawlensky begraben.«
    Nicht dumm gewählt, überlegte Norma. Der Ort ließ keine Rückschlüsse auf den oder die Täter zu. Abgesehen von der Tatsache, dass man sich mit der Biografie des Malers auskannte. Während eines Spaziergangs bei der Russischen Kirche war ihr die Reihe der Informationstafeln an der Friedhofsmauer aufgefallen.
    Undine ließ sich lautstark über die Geldforderung aus. »200.000 Euro bis übermorgen! Soll ich das Geld etwa auf Jawlenskys Grab legen?«
    »Der Friedhof ist die erste Anlaufstelle«, vermutete Norma. »Du sollst mit dem Wagen kommen, also wird man dich von dort aus weiter schicken.«
    »Ich muss etwas trinken«, verkündete Undine.
    Norma nutzte die Gelegenheit und begleitete sie in die Küche.
    Sie zog die Tür zu und flüsterte: »Ich verstehe dich nicht. Du verdächtigst deine eigene Tochter und vertraust dich einem Fremden an?«
    Undine öffnete den Kühlschrank. »Ich verdächtige Nina, eben weil ich sie kenne. Und Gregor ist mir nicht fremd. Wir sind für einander geschaffen.«
    Norma glaubte, sich verhört zu haben. War das die kühle Galeristin, die sie kannte?
    »Hör auf mit deinem Misstrauen, Norma. Den Brief kann Gregor auf keinen Fall überbracht haben. Wir waren den ganzen Tag zusammen.«
    »Er hat seine Komplizen beauftragt. Vielleicht sogar Nina?«
    Undine nahm eine Weinflasche heraus und klappte den Kühlschrank zu. »Unsinn! Er hat Nina nur ein Mal gesehen.«
    »Weißt du, dass er ihr nachgegangen ist?«
    »Das hat er mir selbst erzählt! Er suchte ein paar junge Leute, die ihm in der Villa zur Hand gehen. Dafür ist sich Rico, dieser Schnösel, zu fein. Bringst du bitte die Gläser mit!«
    »Warte, Undine! Wir brauchen polizeiliche Unterstützung. Leute zum Observieren, für die technische Überwachung und anderes mehr.«
    »Kommt gar nicht infrage! Ich will den Jawlensky zurück, ohne einen einzigen Kratzer und Säureflecken. Ich werde kein Risiko eingehen.« Sie ließ nicht mit sich reden.
    »Wirst du wenigstens Norma Tann außen vor lassen?«
    »Wenn du darauf bestehst, Mieke Lienhop!«
    Mit der Befürchtung, dass sich Undine nicht allzu lange an das Versprechen gebunden fühlen würde, kehrte Norma ins Wohnzimmer zurück. Undine trug das Tablett mit der Flasche hinterher. Regert hatte seinen Platz auf dem Sofa wieder eingenommen. Seine Stimmung schien verändert. Zornig ließ er sich über die Entführer aus, als gelte die Erpressung ihm persönlich.
    »Wer weiß, ob sie überhaupt über das Bild verfügen? Ich würde einen Beweis verlangen.«
    »Das werden wir, Herr Dr. Regert«, erklärte Norma gelassen und wünschte ihn im Stillen dorthin, wo der Pfeffer wächst.

22
    Samstag, der 21. Juni
     
    Eine Weile vor der Zeit fuhr sie das gewundene Sträßchen zur Russischen Kirche hinauf und parkte ein Stück entfernt an einem Waldweg. Die Mitbewohner hatten am Küchentisch gesessen und gemeinsam Kaffee getrunken, als sie die Wohnung verlassen hatte. Am liebsten hätte sie abgewartet, um ein Auge auf Rico und Nina zu haben, aber Undine wollte sie unbedingt in ihrer Nähe wissen. Im frühsommerlichen Sonnenschein kamen die Besucher in Scharen hinauf zur Kirche. Wer sich den kurzen Aufstieg zum Neroberg sparen wollte, hatte auch von hier einen hübschen Ausblick auf die Stadt und dabei das Bauwerk im Rücken, das die Wiesbadener gern die ›Griechische Kapelle‹ nannten, obwohl es den Gläubigen der russisch-orthodoxen Gemeinde diente. ›Kapelle‹ war eine liebevolle Untertreibung für den prachtvollen Bau, den Norma mit der Wissbegierde einer Touristin umrundete, um danach zu den Zwiebeltürmen hinaufzuschauen. Die goldene Kuppel des mittleren Turms überragte die vier goldglänzenden Schwestern und schien das helle, von Bögen und Ornamenten geschmückte Mauerwerk mit sich hinauf in den blauen Himmel zu ziehen. Schwer vorstellbar, meinte Norma, dass dieses Märchenschloss aus 1.001 Nacht als letzte Ruhestätte gebaut worden war. Errichtet für Elisabeth, die

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