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Kunstgriff

Kunstgriff

Titel: Kunstgriff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Nicht gerade ein Karriereschub, wenn man bedenkt, was er vorher geleistet hat.«
    Lutz betrachtete sie nachdenklich. »Das sagst ausgerechnet du? Er wäre nicht der Erste, der aus seinem sicheren Job aussteigt. Und mit dem neuen Leben besser fährt.«
    Sie lächelte vielsagend. »Wollen wir gehen? Mir wird kühl.«
    Der Wind hatte aufgefrischt und strich durch das Rheintal. Ein frühsommerlicher Abendhauch, der sie nicht wärmen konnte.

21
    Sie ließ sich am Kaiser-Friedrich-Ring absetzen und ging das letzte Stück zu Fuß. Ihre Mitbewohner sollten nicht zufällig mitbekommen, wie sie aus Lutz Tanns Daimler stieg. Sie war müde und freute sich darauf, den Abend mit Musik ausklingen zu lassen. Nach Lust und Laune hörte sie sich durch Marcos Sammlung, in der von Klassik über Jazz bis Pop alles vorhanden war, das Rang und Namen hatte und dazu viele Musiker, die ihr unbekannt waren. Bevor sie ins Zimmer ging, warf sie einen Blick in die Küche. Ein Schwatz mit Daniel hatte sich zum abendlichen Ritual entwickelt, sofern er nicht unten bei seinen Schützlingen nach dem Rechten sah, seinem Dienst nachging oder sich mit seiner Freundin Sabine traf. An diesem Abend war er zu Hause. Er lag auf dem Sofa, hatte die Knie angezogen, die bloßen Füße gegen die Armlehne gestützt und blätterte in einer Zeitschrift.
    Als er Norma bemerkte, legte er das Heft beiseite und richtete sich auf. »Magst du etwas trinken?«
    »Ein Wasser. Für dich auch?«
    Sie brachte zwei Gläser und eine Flasche zum Tisch. Daniel sah ihr mit liebenswürdiger Miene entgegen. Sie wurde nicht schlau aus ihm. Auf der einen Seite war er der offensichtlich wahrhaftige Wohltäter, der sich mit anrührender Geduld um verlaufene Kinder kümmerte, die in seinem Haus strandeten, sie mit Essen, Zuneigung und im Notfall mit Drogen versorgte. Ihren Hass und die Beleidigungen nahm er mit fatalistischer Demut hin und zügelte seine Aggressivität, die unterschwellig stets präsent war. Gegenüber dem Bruder verlor er schnell die Kontrolle. Im Streit schenkten sich beide nichts. Mehr als einmal war Norma Zeugin geworden, wie Rico in letzter Sekunde aus der Wohnung floh, bevor der Bruder zuschlagen konnte. Mieke gegenüber zeigte sich Daniel von seiner besten Seite. Er mochte die sanfte, freundliche Person, für die er sie hielt. Norma widerstrebte die Maskerade, die sie ihm vorspielte.
    Sie füllte die Gläser und fragte nach Nina und Rico. Er wisse nicht, wo sich die beiden herumtrieben und es interessiere ihn nicht.
    »Miesen Tag gehabt?«
    Ihr naives Lächeln zeigte Wirkung. »Entschuldige, Mieke. Kannst ja nichts dafür, dass mir die Kids das Leben schwer machen. Wegen Alex habe ich wieder mal Stress mit den Behörden.«
    Der schlaksige 20-Jährige mit dem Gesicht eines Lausbuben, der Norma öfter im Hausflur begegnete, war eines seiner größten Sorgenkinder, weil er die Klauerei einfach nicht lassen wollte.
    »Ich will nichts entschuldigen«, sagte Daniel. »Aber dass der Junge so aus dem Ruder läuft, hat mit seinem Vater zu tun.«
    »Ein schwieriges Verhältnis?«
    »Kann man so sagen! Der Mann ist ein amerikanischer Soldat. Die Familie hier ließ er im Stich, als er in seine Heimat zurückkehrte. Alex vermisste ihn sehr und hat ihn drüben besucht, aber das ging nicht gut. Wenn ich nicht persönlich rübergeflogen wäre, um den Jungen nach Hause zu holen – wer weiß, was passiert wäre. Alex wollte sich das Leben nehmen. Darüber ist er zum Glück hinweg.«
    »Warum tust du dir das an? Die Sorgen, die Verantwortung.«
    »Ja, warum?« Er lächelte unverhofft. »Als ob ich mich das nicht jeden Tag selbst frage! Manchmal würde ich am liebsten alles hinwerfen. Aber dann treffe ich, wie neulich erst, ein Mädchen wieder, Sonja, die ich von der Schiersteiner Brücke holte, kurz bevor sie springen konnte. Jetzt arbeitet sie in einem Schuhladen als Verkäuferin. Ist frisch verliebt, glücklich, gefestigt und mit guten Aussichten für die Zukunft. Dann weiß ich, warum es sich lohnt.«
    Norma setzte den Stachel an. »Rico teilt dein Engagement nicht.«
    »Rico ist ein Materialist«, antwortete Daniel verbittert. »Er denkt nur an die Miete, die uns jeden Monat entgeht. Zugegeben, wir brauchen dringend Geld für das Haus. Die Heizung, das Dach, die morschen Fenster: Auszubessern gibt es genug. Aber das Menschliche, das zählt doch viel mehr als alles andere!« Er sah sie an, wie um Zustimmung flehend.
    Sie ging nicht darauf ein. »Denkst du daran, das Haus zu

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