Kunstgriff
Paar führte eine Beziehung auf Abstand, die vielleicht gerade deswegen klappte.
Daniel umarmte Sabine zärtlich. »Gleich gibt es Frühstück!«
Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Keine Zeit, Danni. Ich muss nach Hause. Willi braucht mich jetzt.«
Er wandte sich mit gespieltem Unverständnis an Norma. »Der Dackel! Immer gibt sie ihm den Vorzug.«
Sabine lachte. »Jedem, wie er es verdient. Bis dann!« Mit einem unbekümmerten Winken verabschiedete sie sich.
»Magst du mit mir frühstücken, Mieke?« Er wolle zum Altglascontainer und auf dem Weg beim Bäcker reinschauen, der neuerdings sonntags geöffnet habe, verkündete er gut gelaunt und verließ die Wohnung mit dem Karton unterm Arm.
Norma setzte die Kaffeemaschine in Gang und räumte einige Teller in die Spülmaschine. Dabei fiel ihr der benutzte Becher ein, den sie im Zimmer vergessen hatte. Auf dem Flur warf sie einen Blick auf Che Guevara und das Türschloss unter ihm. Der Schlüssel steckte nicht, aber vielleicht hatte Daniel das Zimmer für Sabine offen gelassen? Neugierig testete sie die Klinke. Die Tür ging auf! Aufmerksam lauschte sie bei Nina, in deren Zimmer alles ruhig war, als brütete das Mädchen in aller Stille über ihrem ungewöhnlichen Geschenk.
Wie lange würde Daniel brauchen? Runter auf die Straße, die paar Schritte zur Containerecke, rein zum Bäcker und zurück. Acht Minuten? Zehn? Auf jeden Fall lange genug für einen Blick in sein verborgenes Reich. Sie mochte nicht ausschließen, dass der liebenswürdige Daniel neben dem harmlosen Sportbogen eine zweite Waffe besaß, die Rico sich ausgeliehen hatte, um seinen Komplizen Pitt aus dem Weg zu räumen. Oder der Bogen war manipuliert, falls sich das bewerkstelligen ließ? Wie auch immer, es konnte nicht schaden, Daniels Zimmer einen zweiten Besuch zu gönnen. Ihr Blick schweifte über das ordentlich gemachte Bett, die Bücherborde und den aufgeräumten Schreibtisch. Sie wollte sich der Nische neben dem Schrank zuwenden, als ihr bewusst wurde, dass neben der Tastatur eine Geldbörse lag. Ob er genügend Kleingeld für die Brötchen dabei hatte? In diese Hoffnung hinein klang das Klappen der Wohnungstür. Raus? Zu spät! Mit einem Satz brachte sie sich in der Nische neben dem Schrank in Sicherheit, platzierte mit Mühe die Füße zwischen Kartons und Staubsauger. Kaum war der Vorhang zugezogen, eilte jemand ins Zimmer. Sie zupfte am Stoff und spähte durch den Spalt. Daniel. Zielstrebig steuerte er den Schreibtisch an. Dort schnappte er sich das Portemonnaie und steckte es ein.
Los jetzt, mach dich wieder auf den Weg!
Als hätte er ihre stumme Bitte vernommen, wandte er sich um und war beinahe auf dem Flur, als sich Nina an ihm vorbei ins Zimmer drückte und die Tür hinter sich zuwarf. Blass und ungeschminkt, die schwarzen Haare strähnig auf Kopf und Schultern, erschien sie Norma kindlich und schutzlos. Unter dem Arm hielt sie das Päckchen.
Daniel versperrte ihr den Weg. »Was soll das, Nina? Du weißt, dass du in meinem Zimmer nichts zu suchen hast!«
Sie lächelte schief. »Nur weil ich mir ab und zu ein paar Euro ausleihe?«
»Ich nenne das nicht Leihen, sondern Stehlen! Grundsätzlich geht es mir nicht ums Geld. Sondern um Vertrauen. Glaubst du, mir macht es Spaß, in der eigenen Wohnung mit dem Schlüsselbund rumzulaufen?«
Sie zuckte die Achseln und zog eine Schnute. »Musst du selber wissen!«
Er seufzte bekümmert. »Was willst du?«
Sie schaute zur Nische hinüber. Norma wagte es nicht, an dem Spalt zu rühren. Der Staubsauger zwickte in ihre Waden, und sie machte sich Sorgen, ob die Zehen womöglich unter dem Vorhang hervorschauten.
Ninas Blick wirkte geistesabwesend. »Rico wollte vor anderthalb Stunden zurück sein.«
Daniel hob den Blick zur Zimmerdecke. »Der wird schon kommen!«
Sie wandte sich ihm zu. »Daniel, mir ist es bitter ernst. Da geht etwas Unheimliches vor. Seit Pitt tot ist, habe ich Angst.«
Daniel bewegte sich auf die Tür zu. »Können wir nicht beim Frühstück darüber reden? Ich wollte gerade Brötchen holen.«
»Wie kannst du ans Essen denken? Dein Bruder ist in Gefahr!«
»Wie kommst du darauf?«
»Deswegen!« Sie hielt ihm das Päckchen entgegen. »Das hat Rico heute morgen vor der Tür gefunden. Es ist an mich adressiert.«
Daniel schaute hinein. »Blumen? Da mag dich wohl jemand?«
»Ganz im Gegenteil! Sieh dir die Karte an! Hier!«
»Trauer muss Elektra tragen? Das ist ein Theaterstück aus den 30er-Jahren,
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