Kunstgriff
Telefon. Vielleicht solltet ihr besser persönlich vorbeigehen.«
»Auf jeden Fall! Ich kümmere mich darum. Sag mal, hast du einen Kaffee für mich?«
»Bedauere, ich hatte keine Zeit zum Einkaufen. Mir knurrt der Magen, und ich würde selbst etwas für eine Tasse Kaffee geben.«
»Wie viel zahlst du?« Milano! Er stand im Türrahmen, der ihn mit Mühe zu fassen schien, und reckte eine Brötchentüte in die Höhe. Unter dem anderen Arm klemmte ein Päckchen Kaffee, und aus der Faust schaute ein dickes Stück Käse in Folie heraus. »Wenn ihr euren Luigi nicht hättet.«
Wolfert stand auf und wollte ihm die Tüte abnehmen. »Danke, Luigi. Du bist ja schon satt.«
Milano brachte die Brötchen in Sicherheit. »Wie kommst du darauf! Was ist gegen ein zweites Frühstück einzuwenden?«
Irene lachte. »Gib her, Luigi! Ich übernehme das.«
Sie hatte das Büro kaum verlassen, als ein Anruf einging.
Milano nahm ab und lauschte in den Hörer. »Warte mal!«
Er gab Wolfert ein Zeichen und stippte den Wurstfinger auf das Lautsprechersymbol. »Dirk hört mit. Schieß los!«
Wolfert erkannte die Stimme: Körber von der Bereitschaft. »Ein Wanderer hat den Toten gefunden.«
»Weist etwas auf einen unnatürlichen Tod hin?«
»Kommt darauf an«, hallte Körbers trockene Stimme durch den Raum, »als was du einen Indianerpfeil im Rücken betrachten möchtest.«
Wolfert zog unwillkürlich den Kopf ein. »Ein Indianerpfeil?«
»Mit Federn dran, sagt der Wanderer. Wie im Film. Er klang völlig aufgelöst.«
Kein Wunder, dachte Wolfert. »Wo liegt der Tote?«
»In der Nähe vom Neroberg. Auf dem Waldlehrpfad. Um genau zu sein, auf der Totholzbrücke, wenn euch das was sagt.«
Milano schaute auf Wolfert, der zustimmend nickte.
»Eppmeier und sein Team sind auf dem Weg«, sagte Körber, bevor er auflegte.
Im Flur strömte ihnen Kaffeeduft entgegen. Irene werkelte in der Teeküche herum, in der Hand ein dolchartiges Messer. »Nur Geduld, meine Herren.«
Milano schnappte sich eine Käsescheibe. »Wir müssen los! Gibst du bitte Gert Bescheid?« Er fasste zusammen, was er eben erfahren hatte.
Bestürzt legte Irene das Brotmesser beiseite. »Welches Monster treibt sich in unserem Stadtwald herum?«
Sie wollte Wolfert ein belegtes Brötchen mit auf den Weg geben, doch ihm war der Appetit vergangen. Körber hatte einen Streifenwagen organisiert, dessen junger Fahrer sich im Stadtwald bestens auskannte. Während der Fahrt durch das Nerotal betrachtete Wolfert die beschaulichen Gründerzeitvillen, die sich beidseitig des Hangs erhoben, und verfolgte mit seinen Blicken den Weg zweier junger Frauen, die in der Morgensonne durch den Park spazierten, begleitet von ihren struppigen Hunden. Irene hat recht, dachte er beklommen, irgendetwas Unberechenbares streunt durch diese Stadt. Er kämpfte gegen den Impuls an, den Wagen zu stoppen und die Mädchen vor dem Wald zu warnen.
24
Geduld hatte sie von Undine gefordert. Ruhe und Umsicht! Dabei fiel ihr selbst das Warten so schwer. Vor 7 Uhr erwachte sie aus einem Traum, in dem sie Rico verfolgte, der mit dem ›Schweigenden Rot‹ in den Armen durch den Wald rannte, und keinen Schritt näher an ihn herankam, so sehr sie auch kämpfte.
Im Traum wie im Leben, dachte sie resigniert, um sich gleich darauf zu besinnen. Was erwartete sie? Vor zehn Tagen hatte sie den Fall übernommen. Manche Ermittlungen brauchten ihre Zeit! Erst einmal ein Lebenszeichen des Bildes abwarten. Danach würde man weitersehen, wie sie es auch Undine und ihrem neuen Liebhaber angeraten hatte. Keine Frage, diese Rolle nahm inzwischen der Doktor ein. Lutz blieb nur, auszuharren, bis Undine sich wieder eines Besseren besann. Daran hatte er seine Zweifel, wie er freimütig zugab, als er am späten Samstagabend anrief, um nach dem Stand der Entführung zu fragen. Vor allem hatte er über sich und Undine reden wollen, wie Norma schnell klar wurde. Sie war ein wenig gerührt, weil er ihr seinen Kummer anvertraute.
Nun tauchte sie unter der Bettdecke hervor und tastete auf dem Fußboden nach dem Telefon, damit ihr nicht aus Versehen Undines Nachricht entging. Das Ziehen im Rücken war besser geworden, aber noch nicht ganz verschwunden. Lutz hatte recht, sie musste im Yoga ihren Ehrgeiz zügeln. Schließlich sollten die Übungen in erster Linie der Entwicklung des Geistes, und erst in zweiter der körperlichen Fitness dienen. Das Handy zeigte keine Nachricht an. Sie rechnete damit, dass sich die Entführer Zeit lassen
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