Kunstraub im Städel
Farbdosen. „Binde du schon mal die Latten zusammen, ich kümmere mich um den Rest“, flüsterte er zu Benny.
„Okay.“
Nach wenigen Minuten war die Arbeit getan. Sie brauchten die Tür nicht zu öffnen, um sich zu vergewissern, dass es draußen noch stürmte und schüttete, als würde gleich die Welt untergehen. Der Regen benutzte das Eternitdach als Schlagzeug. Die Boxen waren voll aufgedreht.
–
„Du bist sicher, dass da wer im Schuppen ist?“, presste Herr Schweitzer zwischen den Lippen hervor. Seine klitschnassen, sonst nach allen Seiten abstehende Haare klebten wie ein Helm auf seinem Schädel. Er traute sich nicht, sich zu bewegen. In der Kuhle auf seinem Rücken hatte sich inzwischen eine kleine Lache gebildet. War Herr Schweitzer vor zehn Minuten noch voller Freude an die Detektivarbeit gegangen, so fluchte er nun ununterbrochen. Wortlos. Obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Selbst einen Schrei hätte der Sturm bereits nach wenigen Metern verschluckt.
„Zwei. Die sind zu zweit da drin“, erklärte Kurt trocken. Ihm schien die Misere nichts anhaben zu können.
Der würde voller Pflichtbewusstsein hier auch ersaufen, dachte Herr Schweitzer, der sich natürlich heiß und innig in ein warmes, kuscheliges Bett wünschte. Neben sich Maria, zu seinen Füßen Pepsi. Auch einen heißen Ebbelwoi zog er in Betracht. Diese himmlischen Gedanken verscheuchte er aber sofort wieder. Sie ließen die missliche Lage, in der er sich befand, noch grausamer wirken, als sie ohnehin schon war. „Was sollen wir machen?“
„Warten, natürlich.“
„Brauchen wir nicht Verstärkung?“
„Wozu?“
Das hatte sich Herr Schweitzer so gedacht. Wozu? Wozu? Die Verstärkung könnte dann vielleicht oben an der Straße in einem vorm Sturm geschützten Wageninneren seelenruhig der Dinge harren, während sie, Kurt und er, ihr eigenes nichtsnutziges Leben retteten. Wozu? Wozu? Instinktiv tastete er seine Hosentasche ab, wo normalerweise sein Handy steckte. Das Handy, mit dem man Verstärkung hätte anfordern können. Doch dieses Handy steckte im Ladegerät. Und das Ladegerät befand sich in seinem Bauwagen. Und der Bauwagen stand gerade auf einem anderen Kontinent. Entmutigt fand er sich mit dem nahenden Ertrinken ab.
Kurt nach dessen Handy zu fragen, traute er sich nicht. Vielleicht würden sie ihre Handys ja gar nicht brauchen. Das hätte zumindest den Vorteil, dass seine Missachtung von Marlon Smids ausdrücklichem Befehl, die Dinger immer am Mann zu führen, nicht ans Tageslicht käme. Peinlich, peinlich.
Zwei Minuten später schrie er auf. Etwas Klitschiges kroch über seinen Handrücken.
„Spinnst du?“, wurde er von Kurt in die Schranken verwiesen. „Halt die Klappe.“
Es war ein Wurm. Wahrscheinlich ein Regenwurm, überlegte Herr Schweitzer, nachdem sich der erste Schrecken gelegt hatte. Angewidert entfernte er das Getier. Wieso schlafen diese Viecher jetzt nicht, es ist doch Nacht? Aber dann fiel ihm ein, dass Würmer ihre Wohnungen ja unterirdisch angelegt hatten. Die können also gar nicht wissen, ob gerade die Geschäfte öffneten oder schlossen. Generös verzieh er dem Wurm.
Ließ gerade der Regen etwas nach oder irrte er sich?
„Gleich hört’s auf“, bestätigte Kurt sein Gefühl. „Dann müssen wir auf Draht sein. Wir dürfen sie auf gar keinen Fall aus den Augen verlieren. Vielleicht ist das unsere letzte Chance. Du bist doch auf Draht?“
„Meistens.“
„Gut. Von mir aus. Hauptsache, du bist flinker, als du aussiehst.“
Leute vom Schlage Kurts hatte Herr Schweitzer noch nie ausstehen können. Die nehmen sich viel zu ernst. Kein Humor, keine Gelassenheit. Immer nur Arbeit und staubtrockene Diensterfüllung. Beamtenmentalität pur.
Jetzt nieselte es nur noch. Kurz darauf öffnete sich die Schuppentür. Nichts war zu hören. Als würde von irgendwoher ein Regisseur seine Anweisungen geben, brach auch die Wolkendecke ein bisschen auf und beleuchtete die Szenerie, wenn auch nur sehr spärlich. Aber immerhin. Es reichte.
Herr Schweitzer überlegte, dass der Vorteil nun auf ihrer Seite lag, denn ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnen können, während die Augen der zwei subversiven Gestalten damit noch zu kämpfen haben dürften.
Sie gaben ihnen gut vierzig Meter Vorsprung, bevor sie die Verfolgung aufnahmen. Normalerweise ist aller Anfang schwer. Hier war es aber genau umgekehrt. Bis zum Aufgang zur Eisenbahnbrücke auf der anderen Seite der Trambahnschienen an der
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