Kunstraub im Städel
Uni-Klinik, die die südwestlichen Stadtteile Frankfurts mit dem Zentrum verbanden, säumten nahezu unendlich viele Versteckmöglichkeiten den Weg der Verfolger. So tasteten sich Herr Schweitzer und sein Kompagnon im Zickzackkurs immer weiter vorwärts. Von Versteck zu Versteck schleichend. Das war auch bitter notwendig, denn in unregelmäßigen Abständen drehten sich die vermeintlichen Gemäldediebe um, ob die Luft auch rein sei.
Die Eisenbahnbrücke selbst stellte dann aber ein Problem dar. Schnurstracks führte sie über den Main. Keine leichte Biegung, kein Pfeiler bot ausreichend Schutz vor Entdeckung. Gemeinsam lugten sie über die letzte Treppenstufe. Zu allem Überfluss hatte auch der Regen wieder eingesetzt, wenn auch bei Weitem nicht so kräftig wie zuvor.
„Was jetzt? Die könnten uns entdecken“, flüsterte Herr Schweitzer, die Situation umreißend. „Die hauen uns ab.“
„Ja, ich weiß“, fluchte Kurt. „Der Vorsprung könnte zu groß werden.“
Herr Schweitzer wusste nicht, was er tat, als er sagte: „Komm.“
Er kletterte über das Geländer, das den Fußgängerweg von den Gleisen trennte. Dort hatte er einen aus Holzbohlen bestehenden, ölverschmierten Weg für die Streckenarbeiter ausgemacht. Kurt folgte ihm. Erst als sie schon einige Meter hinter sich hatten, kam Herrn Schweitzer ein fürchterlicher Gedanke. Was, wenn jetzt ein Zug käme? Frankfurt war schließlich kein Provinzkaff, an dem nur zwei Mal am Tag eine Lok mit zwei Waggons für die Pendler hielt.
Erst verfiel er in einen leichten Trab, dann rannte er so schnell ihn seine Beine trugen. Dergleichen hasste er wie die Pest. In seinem schon seit langer Zeit feststehenden Lebensentwurf waren solche Dummheiten eigentlich tabu. Seine Dopaminproduktion lief auf Hochtouren.
Der Mensch neigt oft zu Übertreibungen, zu übertriebenen Reaktionen, wenn’s gefährlich wird. So auch hier. Sie waren zu schnell, auch wenn Herr Schweitzer grundsätzlich nie zu schnell war. Na ja, so gut wie nie. Denn fast hätten sie die Gauner eingeholt. Erst im letzten Moment bemerkte er sie nur sieben oder acht Meter schräg vor sich. Der Jüngere der beiden schien eines der Gemälde zu tragen. Komisch, dachte er daraufhin, Marlon hat doch gar nichts von einem Gemälde gesagt. Hm, Marlon und Kurt haben wohl nicht richtig hingeguckt. Doch einen Kommentar sparte er sich.
Seine Vollbremsung führte dazu, dass er erstens auf den durch das Regenwasser noch glatter gewordenen, ölverschmierten Bohlen ausrutschte, und zweitens dazu, dass Kurt die schmerzhafte Karambolage nicht verhindern konnte. Als sie den Gordischen Knoten aus Körpern endlich gelöst hatten, waren die Observationssubjekte außer Sicht.
Kurt, nachgerade ungemein scharfsinnig: „Die sind garantiert schon weg.“
Herr Schweitzer setzte noch einen drauf: „Wenn nicht sogar noch weiter.“
Synchron kletterten sie wieder zurück. Dabei schmerzte Herrn Schweitzers rechter Fußknöchel. Doch für doppelte, wenn nicht gar dreifache Knochenbrüche war gerade keine Zeit, verinnerlichte er, der Sachsenhäuser Held, sich. Obschon er nicht mehr viel Puste übrig hatte, legte er noch einen Zahn zu. Kurt schien damit keine Probleme zu haben. Er überholte rechts, keine Rücksicht auf seinen Partner nehmend. Der Abstand zwischen beiden vergrößerte sich. Ganz schön sportlich, der Typ, dachte Herr Schweitzer, das muss der Neid ihm lassen. Und auch, dass er selbst mal wieder Sport treiben müsste. Sobald die Sache hier vorüber war. Ohne sich recht im Klaren darüber zu sein, legte er diesbezüglich sogar ein Gelübde ab.
Kurt erwartete ihn am Ende der Brücke: „Pst.“
„Was?“
„Ich glaube, ich habe gerade einen Schatten unter uns gesehen.“
Herr Schweitzer spähte nach unten, sah aber nichts. „Wo?“
„Da.“
„Aha.“
„Komm, wir gehen. Aber leise, verdammt noch mal.“
Ja, was glaubt der denn? Dass ich hier einen Trommelwirbel veranstalte, oder was? „Okay.“
Diesmal war es keine Treppe, sondern ein schmaler Asphaltweg, der erst einige Meter geradeaus führte, wo dann ein kleiner Abzweig scharf rechts und wieder rechts die beiden zurück zum Main geleitete.
„Ich glaube, die sind hier unter der Brücke durch“, erklärte Kurt und ging voran. „Ah, da sind sie ja.“
Es war nur ein halbherziger Versuch, den Herr Schweitzer startete: „Wir brauchen Verstärkung. Echt. Die könnten von hier noch bis nach Mainz latschen.“
Kurt, ziemlich brüsk: „Quatsch. Stell dich
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