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Kupferglanz

Titel: Kupferglanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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schon nach ein paar Melodiefetzen, dass die untrainierte Haut an den Fingerspitzen der linken Hand bald brennen würde. Aber was machte das schon. Ich fühlte mich, als wäre ich nach Hause gekommen.
    «Ich hab überhaupt keine Songs mehr im Kopf», protestierte ich der Form halber.
    «Wir haben Noten, such dir da mal was raus.» Johnny warf das Beatles-Songbook auf den Tisch, das wir vor Zeiten aus der Stadtbibliothek von Arpikylä geklaut hatten.
    Ich zog eine Grimasse. Es war schön und schrecklich zugleich, dieselben Stücke zu spielen, die ich vor einer halben Lebenszeit mit Johnny, Jaska und Pasi gedudelt hatte. Jaska hatte über Beatles, Simon & Garfunkel und Hector allerdings immer die Nase gerümpft und sie als Softies bezeichnet, und seinem Gesichtsausdruck nach dachte er heute noch genauso. Meiner Meinung nach passten die Songs hervorragend zu einem nostalgischen Stündchen unter Dreißigjährigen.
    «Nehmen wir das?» Johnny hatte «Canʹt Buy Me Love» aufgeschlagen. Es dauerte eine Weile, bis ich auf meinem Bass den richtigen, pumpenden Lauf fand. Johnnys Stimme war nicht mehr so rein wie damals Ende der Siebziger. Er war bei den Synthetischen Tigern der Solist mit der schöns ten Stimme gewesen, bei uns in der Rattengift-Band war derjenige von den Jungs Solist, der am unsaubersten sang. Wenn beide Bands zusammen spielten, hatte der gesungen, der gerade Zeit hatte, manchmal sogar ich.
    Wir spielten noch ein paar bekannte Beatles-Songs: Meine Finger waren steif, und das Spielen machte mich ein bisschen nervös, aber es machte Spaß, es war ganz anders als jeder andere Zeitvertreib. Adrenalin kreiste in den Adern wie beim Laufen, aber beim Musizieren war ich eins mit den anderen, ich tauchte in die Musik ein, mein Herz begann im Takt des Schlagzeugs zu pochen. Nach « I Saw Her Standing There » begriff ich, dass ich das Musizieren wirklich vermisst hatte.
    Wir wechselten zu Hector über. «Der Söldner», dann «Der Schnee bringt einen Engel in den Hur». Bei diesem Song hatten mir immer schon die skalenartigen Bassläufe gefallen, die die nächste Phrase einleiteten. Ich sang mit Johnny und dem Keyboarder bis zum Refrain der zweiten Strophe:
    «Und Vater ging nach Schweden, Mutter flog ins Himmelreich. Der Pfarrer hatte wieder mal zu tun. Und mein Bruder war besoffen, ich sah, er hat geweint… »
    Jaskas Gitarre ließ ein seltsames «Plimm» ertönen, ich überlegte, ob er wohl an Aniliina dachte, so wie ich. Oder dachte er an die orangefarbene Gestalt, an den verrenkten Engel, der neben dem Turm im Sand lag? Nur der Keyboarder und der Schlagzeuger spielten den Song ordentlich bis zum Schluss.
    Johnny hatte sich zum Notenregal gewandt. Ich wusste nicht, ob er wirklich etwas suchte oder ob er seinen Gesichtsausdruck verbergen wollte. Als er sich wieder zu uns umdrehte, staunte ich über den boshaften Schalk, der ihm aus den Augen schaute.
    «Maria, erinnerst du dich an das hier?»
    Es war eine handgeschriebene Übersetzung von «Whoʹll Stop the Rain» von CCR. Die Jungs von den Synthetischen Tigern hatten damit in der Kategorie Bands am Kulturwettbewerb von Arpikylä teilgenommen und gewonnen. Ein Typ von der Bergwerksgesellschaft war dabei gewesen und hatte sich über die Stelle aufgeregt, an der es hieß: «Mein Vater starb im Bergwerk, die Grube ist sein Grab. Die Helfer brachten ihn wohl nicht hinauf. Da beschloss ich, das beschloss ich: in die Grube nie.» Der Ortsleiter der Bergwerksgesellschaft hatte Johnny höchstpersönlich angerufen und den Synthetischen Tigern verboten, das Stück beim Provinzwettbewerb zu spielen. Ich wusste nicht mehr, womit er ihm eigentlich gedroht hatte, jedenfalls gelang es ihm, Johnny das Versprechen abzunehmen, dass der Song nicht gespielt würde.
    Beim Provinzwettbewerb saß ich mit schweißnassen Händen im Publikum. Ich fieberte dem Auftritt der Synthetischen Tiger entgegen, ich wartete gespannt, ob sie das verbotene Stück spielen würden. Als der bekannte Riff einsetzte und Johnny anfing zu singen, hätte ich fast geweint. Johnny war ein Held, er ließ sich nicht vorschreiben, was er sang und was nicht! Wir waren ziemlich enttäuscht, als letzten Endes doch niemand Krach schlug.
    Diese Bassfiguren brächte ich selbst dann noch zustande, wenn ich mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen würde. C, E, F, A. Dädädä. Dädädä. Ich lächelte Johnny zu, er lächelte zurück. Sein Lächeln fuhr mir in die Knie und ließ meinen Mund trocken werden. Wir kreischten

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