Kurier
Treppe nach oben. In
diesem Moment sagte eine Frauenstimme fragend: »Bist du das, Luke?«
»Yeah«, reagierte Grau geistesgegenwärtig.
Sie gingen einfach weiter, Milan immer voraus. Er erreichte
den ersten Stock, sah erst nach rechts, ging dann links auf eine geöffnete Tür
zu, durch die mattes Licht fiel. Grau hörte erst ein erstauntes »Oh!«, dann ein
heftig klatschendes Geräusch.
»Okay«, sagte Milan. »Es ist die Frau, die bewaffnet war.
Ihr Schießeisen habe ich hier.«
Grau kam ins Zimmer. Die Frau lag auf dem Boden, mit dem
Bauch quer über einer großen Matratze. »Ist sie bewusstlos?«
Milan nickte. »Für eine Weile. Da auf dem Stuhl liegt ihr
Telefon. Schlag es kaputt oder nimm einfach die Batterien raus und wirf sie
weg. Nein, das reicht nicht, schlag es kaputt.«
Grau nahm das Telefon, legte es unter seinen linken Schuh
und bog es hoch. Es knirschte jämmerlich und zerbrach ohne großen Widerstand.
Er zog die Akkus heraus und warf sie in einen Papierkorb.
»Alle Räume«, bestimmte Milan. »Keinen vergessen. Wir
suchen das Schlafzimmer von dem Blonden.«
Es war das letzte Zimmer. Sie entdeckten zwei Telefone,
die sie völlig auseinandernahmen. Einen kleinen stationären CB-Funk brachten
sie auch für immer zum Schweigen. Dann grinsten sie sich im Halbdunkel
verschwörerisch zu und Milan sagte: »Jetzt kommt der schwere Teil.«
»Hast du eine Idee?«
»Keine«, sagte Milan unverblümt. »Wir können mit den
Blendgranaten jetzt nichts machen. Wenn wir damit anfangen, flüchten sie sofort
auf die Straße und sind weg. Wir müssen den Blonden dazu kriegen, dass er mit
Angela ins Haus geht.«
»Das schaffe ich«, sagte Grau. »Wir haben sowieso keine
Zeit. Ich mache das und du nimmst sie in Empfang.«
Sie gingen wieder hinunter, Milan suchte sich in dem Raum
mit den zwei Türen zum Garten ein unauffälliges Plätzchen.
»Viel Glück«, raunte er.
Grau ging hinaus, der Kies unter seinen Füßen knirschte,
aus zwei Radios gleichzeitig plärrte laute Musik, niemand achtete auf ihn.
Dabei weiß ich nicht einmal, wie der Blonde heißt, dachte
er matt. Das ist typisch für den großen Gangster Grau: alles dem Zufall
überlassen.
Er näherte sich dem Blonden von hinten und sagte: »Hey, Junge,
ich brauche dich dringend.« Der sah mit eiskalten Augen zu ihm hoch, die Augen
von Angela waren daneben blau wie die einer Puppe.
»Pedrazzini hat wieder Leute in der Stadt. Mach keinen
Scheiß, nimm die Kleine, komm ins Haus!« Wenn er irgendeinen Code verlangt,
haue ich ihm den Schädel ein, nehme die Kleine und renne, dachte er matt.
»Pedra?«, fragte der Blonde. Er sah Grau nicht mehr an,
starrte einfach vor sich hin.
»Ja, Pedra! Das Büro will, dass du das Quartier
wechselst. Sofort, Junge, nicht erst nach deiner Pensionierung!«
»Ja, ja«, nuschelte er ein wenig maulig.
»Ich warte auf dich«, sagte Grau cool, drehte sich um und
marschierte ganz geruhsam den Weg wieder zurück. Er schaute kein einziges Mal
zurück.
Milan stand im tiefen Schatten zwischen den Türen. Grau
sah ihn nicht, ahnte ihn nur.
Der Blonde kam mit Angela Hand in Hand zum Haus. »Was ist
denn?«, fragte sie quengelnd. »Was soll das? Ich will tanzen.«
»Halt die Klappe!«, sagte er roh. »Dein Scheißgroßvater
spielt sich mal wieder auf.«
»Ach der!«, plärrte sie.
Jetzt war der Blonde neben Milan, brach ohne jeden Übergang
in die Knie und fiel nach vorn. Angela wollte schreien, aber ehe aus dem
quiekenden Laut ein wirklicher Schrei werden konnte, griff Milan sie von hinten
und schlug ihr gegen den Hals. »Gut«, sagte er gepresst. »Jetzt die eine oder
andere Granate, ein bisschen Feuerwerk.«
»Und wie funktionieren die Wunderwaffen?«, fragte Grau.
»Du ziehst an dem Stift, der rausguckt. Siehst du ihn?
Dann wegwerfen, aber nicht auf die Menschen. Augen zu, sonst bist du blind!«
»Ja, ja.« Dann zog Grau ruhig den Stift und warf die Granate
in einem flachen Bogen durch die offene Tür hinaus und schloss die Augen. Die
Detonation war gewaltig, der Boden vibrierte, Grau wurde umgeworfen, stand dann
auf, drehte sich herum und öffnete die Augen.
»Komm jetzt«, sagte Milan beinahe gelangweilt. »Die
nächste werfen wir im Treppenhaus.«
»Aber oben liegt die Frau.«
»Sie wird Zeit genug haben«, sagte Milan. »Das Beste ist,
du schmeißt auch eine in das Eckzimmer.«
»Das brennt ja wie verrückt«, sagte Grau verwundert, zog
den nächsten Stift und rollte die Granate
Weitere Kostenlose Bücher