Kurier
Flugwetter
haben, der Himmel ist klar.«
Im Hotel gingen sie als Erstes in das Restaurant, das im
Parterre neben dem Empfang lag. Sie bestellten gegrillte Rippchen und
Tortillas, tranken Unmengen Kaffee und Wasser.
»Bist du nervös?«, fragte Milan.
»Nicht besonders«, sagte Grau. »Aber ich möchte keine
Menschen töten. Du weißt ja: Mich kotzt diese Brutalität an.«
Milan nickte. »Ich weiß. Du kennst das hier, du warst
schon einmal hier?«
Grau nickte ebenfalls. »Ich kam von Rio hoch, ich recherchierte
in Sachen Drogen. Das war, als Escobar noch lebte, frei im Land herumzog, den
Armen Fußballstadien und Küchen einrichtete und tun und lassen konnte, was er
wollte. Escobar war eine Sau, aber viele verehrten ihn wie einen Heiligen. Er
zog immer mit zwei Priestern herum, in Medellín und später in Bogotá. Er
kriegte sein Geld in Plastiktüten aus Florida. Bargeld, unbeschreibliche Mengen
an Dollars. Du wusstest nie, wer hier eigentlich bestochen ist und wer nicht.
Du musstest bei jedem damit rechnen. Im Hotel war alles voller Bullen mit Maschinenpistolen.«
»Und jetzt?«
»Ich weiß es nicht. Escobar ist tot. Ich nehme an, sie machen
eine Pause. Sie bauen inzwischen auch Mohn an, um Heroin zu exportieren. Die
Menschen hier sind sehr arm. Ungefähr so arm wie Luiz. Wenn sie könnten, würden
sie aus ihren Papphütten am Rand der Stadt herauskommen und uns ausnehmen wie
Weihnachtsgänse. Sie haben aber keine Chance dazu. Ich habe hier mal Babys im
Müll gesucht.«
»Wir haben in Jugoslawien manchmal auch Babys im Müll
gefunden«, sagte Milan. »Warum hier?«
»Es war so und es ist immer noch so: Wenn die armen Mädchen
in den Müllstädten ungewollt schwanger werden, bringen sie die Kinder zur Welt
und legen sie auf die Müllkippe, manchmal auch in den Mülleimer.
Es gibt hier Nonnen aus Holland, die ›Schwestern vom
Armen Kinde Jesu‹. Sie führen Schulen und Waisenhäuser. Sie sammeln die Babys
ein und ziehen sie groß. Ich habe damals auch nach diesen armen Würmern
gesucht. Ich hoffte immer, ich würde keines finden, und wenn ich doch eins
fand, wollte ich es immer nicht glauben. Die Nonnen sind richtig gut.«
Sie aßen, bezahlten und gingen auf ihr Zimmer. Sie hatten
nur eines gemietet, denn sie gaben sich ja als deutsche Volksschullehrer aus,
und Sundern hatte ihnen geraten, sie sollten sich so benehmen, als hätten sie
die Reise bei einem Preisausschreiben gewonnen.
Grau rief Sundern an. »Wir kommen weiter, aber wir wissen
noch nicht genau, wie wir das Land unbehelligt wieder verlassen können.
Ansonsten geht es vorwärts.«
»Habt ihr das Mädchen schon gesehen?«
»Sicher. Eine hübsche Kleine, völlig besoffen und
bekifft.«
»Wann geht ihr es an?«
»In ein paar Stunden.«
»Du meldest dich auf jeden Fall? Auch dann, wenn es
schiefgeht?«
»Auch dann«, versprach Grau. »Und was ist in Berlin so
los?«
»Der Teufel ist los.« Sundern lachte verhalten. »Die ARD
hat den Beitrag deiner Kollegin gesendet. Das Auswärtige Amt hat jetzt also
einen Diplomaten am Arsch, der Drogen und Schmiergelder nach Berlin geschafft
hat. Sie geben es natürlich nicht zu. Irgendein Pressesprecher hat behauptet,
Steeben wäre niemals in Berlin gewesen, tat so, als wäre alles eine
Verwechslung. Steeben wäre in Rio verschwunden, wahrscheinlich von Banditen
verschleppt. Das Auswärtige Amt hat ganz schön Muffensausen.
Und prompt hat einer von den Grünen einen Untersuchungsausschuss
gefordert. Er sagte, das Auswärtige Amt sei noch nie richtig unter die Lupe
genommen worden. Das wird ein heißer Tanz. Die Berliner Kripo tut unschuldig,
aber es ist durchgesickert, dass die Amerikaner und die Leute vom Bundesnachrichtendienst
hier gewildert haben.
Es brennt an allen Ecken, Grau, und es ist echt spannend.
Warum nehmt ihr nicht einfach eine Linienmaschine?«
»Geht nicht, weil sie den Flughafen sofort dichtmachen
werden.«
»Das ist richtig«, gab Sundern zu. »Aber du hast doch bestimmt
schon eine Lösung in deinem schlauen Kopf, oder?«
»Ich hab tatsächlich eine, aber ich rede nicht darüber.
Ich kann in den nächsten zehn Stunden wahrscheinlich nicht anrufen. Wir werden
alles versuchen, das kannst du mir glauben.«
Sundern schwieg einen Moment. »Und wie ich dir das
glaube«, sagte er dann. »Ihr seid nämlich die ersten ›guten‹ Toten, wenn etwas
schiefgeht.«
»Wie geht es Meike?«
»Ich weiß es nicht. Sie sitzt in dieser Wohnung in der
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