Kurier
Geld ein,
um weiterzuspielen.
»Das ist doch ein sehr massives altes Bürgerhaus. Wieso
heißt das ausgerechnet Kempes Wurstbude?« ,fragte er.
»Det is sozusagen Stadtgeschichte«, erklärte ihm der
Wirt. »Also, diese Straße war total zerbombt. Det muss 45 gewesen sein. Da kam
ein Mann namens Kempe, Willi Kempe. Der machte hier auf dem Hof ’ne Bude auf.
Eine aus alten Holzbrettern. Der verkaufte Würstchen, obwohl es doch eigentlich
gar kein Fleisch gab, um Würstchen draus zu machen. Aber Willi Kempe hatte
irgendwie immer richtig gute Knacker. Weil hier in der Gegend ein paar Leute
Hunde hatten, und weil Hunde plötzlich verschwanden, weil ja, wie man weiß, die
Leute ooch Hunde fraßen, haben die Nachbarn erzählt: Willi Kempe holt sich die
Hunde und macht Würstchen draus.
Det war natürlich jemein, aber Willi grinste nur und verkaufte
weiter seine Würstchen. Er verkaufte so viel, dass er sich in den Fünfzigern
beide Häuser hier kaufen konnte. Nu ist er längst tot und die Erben sitzen
irgendwo auf Ibiza und verfressen unsere Miete. So ist das mit Kempes Wurstbude. «
»Schöne Geschichte«, sagte Grau und versenkte einen Ball.
Ein Mann kam herein und der Wirt sagte sichtlich erfreut:
»Tag, oller Schwede, Bier?«
»Bier«, sagte der Mann. Er trug eine blaue Latzhose, die
vollkommen verdreckt war. Seine Sprache war rau und hart. »Und einen Schnaps
will ich und eine Schachtel Zigaretten.«
»So soll es sein«, sagte der Wirt.
Der Mann mochte vierzig Jahre alt und slawischer Abstammung
sein. Sein Gesicht war rund und sehr fremdländisch, die Augen leicht schräg geschnitten,
die Wangenknochen hoch herausragend, der Teint sehr dunkel. Sein Haar sah aus,
als wäre es eingefettet, es war schwarz, fast blau, und reichte bis weit über
den Kragen seines Blaumanns. Der Mann wirkte ein wenig wie ein Tier, wie ein
sehr ruhiges, gelassenes Tier.
»Da ist ein Gast von Sigrid«, sagte der Wirt und deutete
mit dem Kopf zu Grau hinüber.
»Ja, ich weiß«, sagte der Mann. Er nickte Grau flüchtig
zu. Der spielte weiter und spürte dabei unwillig, dass er Angst vor dem Auftrag
hatte.
Der Mann nahm sein Bier und schlenderte zu Grau herüber.
»Sie sind Journalist? Sind Sie bekannt?«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Grau.
»Journalisten wohnen normalerweise nicht bei uns«, sagte
der Mann mit einem Lächeln. »Die wohnen immer feiner. Wir sind was für
Arbeiter.«
»Mir ist das hier lieber«, erklärte Grau. »Auf dem Ku’damm
sind doch kaum Berliner.«
»Das stimmt.« Der Mann lächelte. »Ich lebe mit Sigrid.«
»Das dachte ich mir.« Grau zielte über das Queue hinweg.
»Sie machen es falsch«, sagte der Mann. »Sie müssen die Kugel über die Bande
kommen lassen. Und ganz sacht. Über was schreiben Sie?«
»Meistens über Politik«, sagte Grau und machte den Stoß
nach den Angaben des Mannes. Es klappte. »Aber hier schreibe ich über Berliner
und Berlin.«
»Ich bin Kroate«, sagte der Mann.
»Waren Sie im Krieg?«
»Ja.«
»Und wie sind Sie rausgekommen?«
»Meine Familie ist tot. Da bin ich mit einem Lastwagen,
der uns Decken und Kleidung für den Winter brachte, nach Berlin zurückgefahren.
Seitdem bin ich hier.«
»Arbeitslos?«, fragte Grau.
»Ja«, nickte der Mann.
»Keine Chance?«
»Keine große. Und keine Papiere. Ich bin lieber vorsichtig,
sonst schicken die mich zurück.«
»Wie groß war die Familie?«
»Sechs Leute. Meine Eltern, meine Frau, zwei Kinder.«
»Wollen Sie einen Job?«
»Warum nicht? Was für einen?«
Grau dachte an Hector, grinste und sagte: »Es ist kein
Ausbildungsberuf: Sie könnten mein Schatten sein.«
»Schatten?«
»Schatten«, sagte Grau. »Ich erkläre es Ihnen. Gehen wir
nach Hause.«
»Na gut, nach dem Bier«, sagte der Mann. Dann stellte er
sich an die Theke, sprach mit dem Wirt und dem alten Mann, und ihre Stimmen
klangen warm und behaglich. Grau dachte: Er ist ganz ruhig und er ist hier zu
Hause.
Auf der Straße sagte der Mann: »Ich heiße Milan.«
»Ich bin Jobst.«
»Hängt das, was ich tun soll, mit deinem Job zusammen?«
»Ja. Ich werde es erklären.« Er fragte sich, wie viel
Hector einem solchen Mann erzählen würde. Er fragte sich auch: Was muss ich ihm
verschweigen?
Sigrid Polaschke öffnete ihnen und Milan sagte hastig:
»Er hat einen Job für mich.« Und zu Grau: »Soll ich dich fahren?«
»Nein, das nicht.«
Das Gesicht der Frau wurde unsicher und sie blickte sehr
schnell von einem
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