Kurier
zum anderen.
»Ich bin sauber«, versprach Grau hastig. »Es passiert ihm
nichts.«
»Das hoffe ich«, sagte Sigrid Polaschke.
»Ich komme gleich«, sagte Milan und verschwand.
»Er hat keine Papiere«, sagte die Frau und atmete plötzlich
schneller. »Eigentlich gibt es ihn gar nicht. Er hat nicht einmal kroatische
Papiere, nichts.«
»Und über die Grenzen ist er mit einem Lastwagen gekommen?«
»Er hat sich unter ihn geklemmt.« Sie lächelte und war
ganz weit weg. »Er ist schon ein Verrückter.«
»Ich bin in meinem Zimmer«, sagte Grau.
Milan klopfte, kam herein und setzte sich auf einen
Stuhl. »Es muss ein heimlicher Job sein«, sagte er. »Sigrid wird verrückt vor
Angst, wenn ich mit vielen Menschen zusammen bin. Sie sagt immer: Einer wird
dich verpfeifen.«
»Ich verstehe«, sagte Grau. »Ich arbeite für eine amerikanische
Zeitung. Ich soll über die neue Hauptstadt schreiben. Ich muss viele Menschen
treffen. Auch viele Ausländer: Türken, Griechen, was weiß ich. Ich muss Berlin
auch bei Nacht erleben. Es geht auch um Drogen und so etwas.«
»Drogen? Ah, es geht um das ganze Leben, eh?« Milan
grinste schief.
»Um das ganze Leben«, bestätigte Grau. »Ich brauche einen
Mann, der immer in der Nähe ist.«
»Du bist ein Bulle?«, fragte Milan. Er begann erst zu lachen,
als Grau sehr erschreckt den Kopf schüttelte. »War nur Spaß. Triffst du
Gauner?«
»Vielleicht, kann sein. Ich gehe langsam durch die Stadt,
verstehst du?«
»Ja, ja, das verstehe ich. Und ich bin immer hinter dir,
irgendwo, nahe, oder?«
»Ja. Die Menschen sollen nicht merken, dass du zu mir
gehörst.«
»Warum nicht? Ah, ich verstehe. Und wenn es gefährlich
ist?«
»Dann bist du still und tust nichts«, sagte Grau. Lieber
Himmel, wahrscheinlich würde Hector schallend lachen, wenn er ihn so hörte.
»Na ja«, sagte Milan vergnügt, »kannst du sowieso keinen
Schatten verprügeln, oder?«
»Richtig«, sagte Grau. »Hast du Jeans und einen grauen
Pulli oder einen dunkelblauen oder schwarzen?«
»Habe ich. Moment, was für Schuhe? Nicht Sommerschuhe!
Geht nicht! Rutschst du aus.«
Grau schwieg zunächst: »Das weißt du aus dem Krieg, nicht
wahr? Du bist ein Profi.«
Milan nickte. »Ich bin barfuß gelaufen. Ich hatte nur
normale Schuhe wie für Tanzvergnügen. Habe ich ausgezogen. Barfuß ging das gut.
Später habe ich Stiefel gehabt, richtige Stiefel.«
»Von einem Toten?«
»Sicher«, sagte Milan nüchtern, »sicher. Wann geht das
los, wann beginnt Arbeit?«
»Gleich. Heute Abend. Was musst du verdienen?«
»Ich weiß es nicht, du musst das wissen. Schatten?« Er
lachte. »Leichte Arbeit, nicht so teuer. Wie lange geht das? Eine Schicht, acht
Stunden?«
»Das weiß ich vorher nicht, das wissen wir nie. Mal lang,
mal kurz. Was kriegst du, wenn du Autos reparierst?«
»Na ja, der Kumpel zahlt Essen und Bier und fünf Mark die
Stunde. Wenn du mir Essen zahlst und so, dann auch fünf Mark.«
»Hast du einen Führerschein? Ach nein, du hast gar
nichts. Also darfst du nicht fahren.«
»Gut so, niemals fahren! Geht das? Hast du ein Auto hier?«
»Ja, habe ich, aber das will ich nicht benutzen. Bist du einverstanden,
wenn ich alles zahle? Essen, Trinken, Taxi
und so weiter. Außerdem zehn Mark die Stunde. Okay?«
»Fünf Mark reicht, denke ich. Keine schwere Arbeit.«
»Zehn Mark«, sagte Grau schnell. »Keine Widerrede. Was
sagst du Sigrid?«
»Na ja«, Milan zuckte die Achseln, »die Wahrheit. Was ist
schon Arbeit als Schatten? Wann gehen wir?«
»In einer Stunde.«
»Und wie geht das? Wo bin ich? Zwei Meter hinter dir,
zehn Meter hinter dir? Wenn du einen Menschen triffst, gehst du in eine
Wohnung. Wie soll ich da hineinkommen?«
»Das ist richtig«, sagte Grau. »Ich habe keine Erfahrung.
Wir müssen es ausprobieren.«
»Probieren wir’s«, stimmte Milan zu.
Sie gingen eine Stunde später und Grau gab dem Kroaten
genügend Geld, um ihn von sich unabhängig zu machen.
»Wenn ich in einem Lokal esse, isst du auch. Wenn ich
Taxi fahre, nimmst du auch ein Taxi. Wir müssen es testen. Lass dir Quittungen
geben.«
»Was ist, wenn Bullen da sind und mich nach Papieren
fragen?«
»Das weiß ich nicht. Was würdest du im Normalfall machen?«
»Türmen«, antwortete Milan.
»Dann türme. Wir treffen uns immer bei Sigrid.«
»Was ist, wenn ich dir etwas sagen will? Dringend?«
»Dann gehst du dicht an mir vorbei und ich folge dir. Dasselbe
mache ich auch.
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