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Kurier

Kurier

Titel: Kurier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Berndorf
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Grau, »das nehme ich. Ist es okay,
wenn ich zehn Tage im Voraus bezahle?«

    »In Ordnung«, sagte sie. »Können Sie Ihr Gepäck selbst
heraufholen? Ich habe im Moment keinen, der hilft. Mein Freund ist auf Arbeit.«

    »Kein Problem«, sagte Grau. »Was arbeitet er denn?«

    »Mal dies, mal das. Heute hilft er einem Kumpel das Auto
reparieren.« Sie nahm die Scheine und drehte sie unschlüssig hin und her, als wüsste
sie nicht recht, ob sie das Bargeld annehmen sollte. »Ich schreibe eine
Quittung.«

    »Das hat Zeit, das hat Zeit«, beruhigte sie Grau.

    »Ja, und das warme Wasser hat Aussetzer. Manchmal kommt
es ’ne Weile nicht, aber irgendwie kommt es immer wieder. Alles alt hier im
Haus.«

    »Macht auch nichts.« Grau blieb höflich. »Was haben Sie
für Gäste?«

    »Die meisten sind auf Montage. Berlin ist eine Baustelle.
Jetzt kommen doch die Bonner, und alles baut wie verrückt. Straßen und Häuser
und so. Für mich ist das gut, weil die Firmen pünktlich bezahlen. Sind Sie auch
auf Montage?«

    »Nein. Ich bin Journalist.«

    »Das ist doch mal was anderes«, sagte sie. Dann ging sie.
»Wo ist denn hier die beste und gemütlichste Kneipe?«, fragte Grau hinter ihr
her.

    »Wenn Sie aus dem Haus kommen, rechts. Kempes Wurstbude. Echt spitze.«

    Grau ging hinunter und holte seine Koffer. Er räumte seine
Sachen sehr sorgfältig in den Schrank. Nur mit der Waffe, den Pillen und dem
amerikanischen Geld wusste er nicht wohin. Schließlich stopfte er alles in das
Reißverschlussfach eines Koffers und legte ihn auf den Schrank. Er zog sich
aus, legte sich eine Weile aufs Bett, duschte und legte sich erneut aufs Bett.

    Langsam wurde er unruhig, empfand die Stadt wie eine
Bedrohung. Eigentlich könnte er es sich einfach machen und die verstreuten
Rauschgiftszenen der Stadt erkunden. Die Lage abchecken und mit den Leuten
quatschen. Dann direkt in diesen Klub Memphis am Savignyplatz gehen, um diesen Rechtsanwalt Timo Sundern zu sehen, von dem
White gesagt hatte, er würde nur lächeln, aber nicht reden.

    »Lieber Himmel!«, ermahnte er sich halblaut. »Trödel
nicht rum!« Diese seltsame Unentschlossenheit vor einer Recherche kannte er und
begegnete ihr immer mit Nervosität und einer strengen Form von Ärger.

    Rasch zog sich Grau an und schlenderte dann in Kempes Wurstbude. Sie bestand aus zwei
hohen alten Räumen mit einer sehr langen Theke und zwei Poolbillardtischen.
Hinter der Theke stand ein Mann um die vierzig mit einer Halbglatze und einem
weißen Hemd, dessen Manschetten von alten Ärmelschonern hochgehalten wurden.
Der Mann trug einen Schnurrbart wie Kaiser Wilhelm der Zweite und zwirbelte das
gute Stück unablässig.

    Außer dem Wirt war nur noch ein Gast im Raum. Es war ein
sehr alter, kleiner Mann, der vor seinem Bier saß und unermüdlich kaute, obwohl
er nichts aß.

    »Bitte ein Bier«, sagte Grau. »Ein Helles. Ich wohne nebenan
bei der Polaschke. Kann ich bei Ihnen auch etwas zu essen bekommen?«

    »Kaltes Kotelett, Frikadelle, russische Eier, Kartoffelsalat.
Nichts Warmes.«

    »Das Poolbillard interessiert mich. Man kann gut dabei
abschalten. Darf ich probieren?«

    »Sicher doch. Sie müssen nur eine Mark reinwerfen. Die
Queues stehen an der Wand.«

    Grau schlenderte zur ersten Platte, warf ein Markstück
hinein, baute sich die Kugeln auf, stieß in sehr schneller Folge sechs Bälle
ein und hörte dann wieder auf. Er ließ sich ein kaltes Kotelett servieren und
aß es genussvoll mit Brot, während er mit dem Wirt plauderte. Er erkundigte
sich, wann das Nachtleben in der Gegend des Ku’damms beginne. Der Wirt grinste
und erklärte ihm, er habe mit den feinen Herrschaften in der Innenstadt wenig
am Hut. Wahrscheinlich sei Mitternacht die richtige Zeit.

    Der alte mümmelnde Mann krächzte breitmäulig: »Nu, junger
Mann, dann machen Se mal einen Anständichen drauf!« Dazu lachte er zahnlos.

    Grau spielte wieder betulich Billard, räumte die Platte
leer. Er fragte sich, ob Angie wohl allein nach Teneriffa geflogen war. Er war
ziemlich sicher, dass sie in die Maschine gestiegen war, um die Situation mit
der ihr eigenen Zwanghaftigkeit zu klären. Wahrscheinlich würde sie vierzehn
Tage später nach Hause kommen und allen Bekannten versichern, sie und Grau
hätten sich in aller Ruhe und nach vernünftigem Abwägen des Für und Wider
getrennt. Es sei vorüber, es sei ganz gut gewesen, aber nicht mehr aufzuwärmen.
Sie muss das tun, um sich zu schützen, dachte er. Dann warf er erneut

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