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Kurs auf Spaniens Kueste

Kurs auf Spaniens Kueste

Titel: Kurs auf Spaniens Kueste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick O'Brian
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dagegen tun könnte.«
    »Nein«, bestätigte Jack, »Kampfgeist läßt sich nicht erzwingen.« In Gedanken an seine Unterhaltung mit Stephen Maturin schloß er: »Das wäre ein Widerspruch in sich.« Er hätte noch hinzufügen können, daß eine in ihrer Routine gestörte Besatzung, des gewohnten Schlafs und ihrer willigen Dirnen beraubt, ebenfalls keine schlagkräftige Truppe war. Aber er wußte, daß jede an Deck eines nur vierundzwanzig Meter langen Schiffes gefallene Bemerkung die Wirkung einer öffentlichen Stellungnahme hatte. Außerdem standen der Rudergänger an seinem Rad und der Quartermaster am Kompaßhaus nur eine Armlänge entfernt. Letzterer drehte gerade das Stundenglas um, und als die ersten Sandkörnchen ihre mühsame Reise zurück in die gerade geleerte Hälfte begannen, rief er mit leiser Nachtwachenstimme: »George«, worauf der Seesoldat nach vorn abknickte, um auf der Schiffsglocke drei Glasen zu schlagen.
    Inzwischen hatte der Himmel die letzten Zweifel beseitigt: Von Nord nach Süd spannte er sich in klarem Blau über die See, nur im Westen lauerte noch ein Rest dunstigen Violetts.
    Jack ging zur Luvreling, schwang sich in die Wanten und enterte auf. Das könnte der Würde eines Kommandanten abträglich sein, dachte er, während er unter der mächtig ausladenden Marssaling innehielt, um sich zu vergewissern, daß genügend Platz zwischen den durchgesetzten Schwichtungsleinen und der Rah blieb. Vielleicht sollte ich besser durchs Soldatenloch kriechen, überlegte er weiter. Seit es diese Plattformen im Topp der Untermasten gab, machten es sich die Seeleute zur Ehrensache, sie auf einem gefährlichen Umweg zu erklimmen, und zwar über die Püttingswanten, an denen sie wie Käfer mit dem Rücken nach unten hingen, bis sie den Rand der Salingsplattform erreicht hatten. Zum Soldatenloch dagegen führten die Webeleinen wie bequeme Leitern von Deck herauf. Dennoch wurde es nur von Landlubbern und den Scharfschützen benutzt, die hier ihre Gefechtsstation hatten. Oder von allgemeinen Respektspersonen. Als Jack hindurchkroch, jagte er dem Ausguckposten einen solchen Schrecken ein, daß diesem ein spitzer Aufschrei entfuhr.
    »Ich dachte schon, der Klabautermann kommt«, murmelte er auf polnisch.
    »Wie heißt du?« fragte Jack.
    »Jackruski, Sir, halten zu Gnaden, danke«, antwortete der Pole.
    »Halt die Augen offen, Jackruski«, mahnte Jack und kletterte behende an der Marsstenge weiter hinauf. Als er den Marstopp erreicht hatte, hakte er einen Arm um die Wanten und ließ sich bequem auf der Quersaling nieder. In seiner Jugend hatte er hier oben zur Strafe viele Stunden zubringen müssen; anfangs war er noch so klein gewesen, daß er bequem auf dem Mittelteil der Saling sitzen, die Arme auf die achtere Spreize stützen und einschlafen konnte, fest verkeilt trotz der wilden Kreise, die sein luftiger Sitz beschrieb. Damals hatte er immer und überall schlafen können, war ständig hungrig, müde oder beides gewesen. Wie gefährlich ihm die Höhe des Marstopps vorgekommen war! Aber natürlich war er auf der alten Theseus auch viel höher gewesen, an die fünfzig Meter über Deck. Und er schien über den halben Himmel zu peitschen. Einmal, als er da oben seine Strafe abgesessen hatte, war ihm übel geworden, doch der Wind hatte das Erbrochene fein zerstäubt. Jetzt dagegen fühlte er sich in dieser Höhe ganz behaglich. Sechsundzwanzig Meter minus Kiel, Bodenwrangen und Kielschwein, das machte etwa vierundzwanzig Meter, was seine Sicht auf zehn oder elf Seemeilen ausdehnte. Er blickte nach Luv — völlig leerer Horizont, kein fremdes Segel, nicht die geringste Unterbrechung der glatten Kimm. Das Bramsegel über ihm schien plötzlich in Gold getaucht zu sein: Zwei Strich an Steuerbord voraus lugte der blendendhelle Sonnenrand in einer Orgie aus Licht und Farben über den Horizont. Eine Minute lang wurde nur Jack von der Sonne beschienen, als wolle sie ihn vor allen anderen auszeichnen; dann trafen die Strahlen auf das Marssegel, glitten daran hinab, erreichten die Piek des Gaffelgroßsegels und schließlich das Deck, das sie vom Bug bis zum Heck mit Licht überfluteten. Tränen der Ergriffenheit füllten Jacks Augen, blendeten ihn und rollten über seine Wangen, wo die dicken Tropfen von der warmen, goldenen Brise nach Lee verweht wurden.
    Gebückt spähte er unter dem Bramsegel durch und suchte die ihm anvertrauten Handelsschiffe: zwei Pinken, zwei Schnauen, ein Ostseeschoner und der Rest Schaluppen.

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