Kurs auf Spaniens Kueste
Glücksfall, Sir.« Zufrieden ließ der Stückmeister den Blick schweifen, über die See bis zum gut eine Meile entfernten Norweger mit dem Korsaren daneben, über die Sophie mit ihren warmgeschossenen, frisch nachgeladenen, ausgefahrenen und feuerbereiten Stücken, über die gespannt wartenden Kanoniere und das gefechtsklare Deck.
»Da exerzieren wir friedlich an den Kanonen«, sagte Jack wie zu sich selbst, »und dieser freche Hund schleicht sich gegen den Wind an, beißt uns in den Schwanz — was ist ihm da bloß eingefallen? Schnappt sich die Schnau und wäre damit auch abgehauen, wenn der gute Doktor uns nicht rechtzeitig zur Vernunft gebracht hätte.«
»So einen Doktor gibt's nicht noch mal, das schwöre ich Ihnen«, versicherte der Stückmeister. »Aber jetzt, Sir, sollte ich wohl ins Magazin hinuntergehen. Wir haben noch nicht genug Pulver umgefüllt. Und ich wette, Sie wollen gleich eine volle Ladung haben, hahaha!«
»Mein Bester«, sagte Jack zu Stephen, dabei in Gedanken die zunehmende Fahrt der Sophie und die Entfernung berechnend, die sie noch von der umkämpften Schnau trennte — denn in diesem Stadium verdreifachter Vitalität konnte er ohne weiteres kalkulieren, mit Stephen sprechen und eine Unzahl ständig wechselnder Variablen berücksichtigen, alles zur gleichen Zeit, »mein Bester, wollen Sie nach unten gehen oder lieber an Deck bleiben? Vielleicht fänden Sie es auch unterhaltsam, mit einer Muskete in die Marssaling zu steigen und ein paar von den Schurken abzuknallen?«
»Nein, nein, nein«, beeilte sich Stephen zu versichern, »ich verabscheue Gewalt. Mein Beruf ist das Heilen, nicht das Töten; oder höchstens das Töten in bester Absicht. Bitte lassen Sie mich meinen Platz, meine Station im Cockpit einnehmen.«
»Ich habe gehofft, daß Sie das sagen würden.« Dankbar schüttelte Jack ihm die Hand. »Aber da Sie ein Gast an Bord sind, habe ich nicht gewagt, es Ihnen vorzuschlagen. Es wird die Leute ungemein beruhigen — uns alle, genaugenommen. Mr. Ricketts, führen Sie Dr. Maturin ins Cockpit, und helfen Sie dem Loblolly mit den Seekisten.«
Eine Brigg mit nur drei Meter und zwanzig Zentimeter Rumpftiefe konnte einem Linienschiff in puncto Feuchtigkeit, Stickigkeit und Dunkelheit auf dem untersten Deck nicht das Wasser reichen. Immerhin brachte es die Sophie darin so weit, daß Stephen nach einer zweiten Laterne rufen mußte, bevor er seinen mageren Vorrat an Verbänden, Salben, Aderpressen und Tampons ausbreiten und sichten konnte. Er saß da, hielt Northcotes Marinepraxis dicht ans Petroleumlicht und las gerade: »Ist die Haut durchtrennt, muß der Gehilfe sie so weit wie möglich auseinanderziehen, dann wird kreisförmig durch Muskelgewebe und Knochen geschnitten«, als Jack ihn besuchen kam. Er trug jetzt weiche Reitstiefel, hatte seinen Säbel umgeschnallt und hielt ein Paar Pistolen in der Hand.
»Darf ich auch den Raum nebenan benutzen?« fragte Stephen und fügte auf lateinisch hinzu, damit der Loblolly ihn nicht verstand: »Es könnte meine Patienten beunruhigen, wenn sie sehen, daß ich die Fachliteratur zu Rate ziehe.«
»Aber gewiß doch, gewiß«, rief Jack aus, ohne sich mit dem Latein lange aufzuhalten. »Alles, was Sie brauchen. Diese beiden Pistolen lasse ich Ihnen hier. Falls wir nahe genug herankommen, werden wir die Schnau natürlich entern, aber man kann ja nie wissen ... Diese Algerier quellen meist über vor Leuten, und einige davon könnten an Bord springen. Sind verdammte Halsabschneider, dieses Pack«, schloß er mit einem herzhaften Auflachen und verschwand im Halbdunkel.
Jack hatte sich unten nur kurz aufgehalten, doch als er wieder an Deck erschien, war drüben eine völlig neue Lage eingetreten. Die Algerier hatten die Schnau in ihre Gewalt gebracht, ließen sie vom Nordwind abfallen und setzten gerade das Besansegel, um sich nach Süden davonzumachen. Die Galeere hielt sich mit einer Schiffslänge Abstand hinter der Steuerbordseite des Norwegers: ohne Fahrt, die vierzehn Langriemen pro Seite reglos im Wasser, den Bug der Sophie zugewandt und das riesige Lateinersegel lose aufgegeit, lag sie da, ein langes, niedriges, schmales Fahrzeug, länger als die Sophie , aber viel schlanker und schnittiger. Und wie bald erkennbar wurde, auch ein sehr schnelles und kühn geführtes Schiff. Etwas ungemein Lebensbedrohliches, Reptilienhaftes ging von ihm aus. Die Piraten planten eindeutig, die Sophie entweder ins Gefecht zu verwickeln oder doch so lange
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