Kurs Minosmond
besichtigen, sie ist zur Aufstellung bereit. Sie wird vielleicht deutlicher erklären als meine Worte, was eigentlich vorgegangen ist. Und da sie nun fertig ist, kann ich auch sagen: Das war kein Vorgang, der jetzt zur Methode wird, sondern es war eine einmalige – ich will nicht sagen Befreiung, wovon denn schließlich, vielleicht Freisetzung neuer schöpferischer Kräfte.“
„Sie sind sehr überzeugt davon“, sagte der Schlichter etwas reserviert, „aber ich muß Ihnen entgegenhalten: Erfolg schafft kein Recht!“
„Ich möchte das ja auch nicht noch mal erleben“, sagte der Bildhauer, nun etwas erschöpft, „und ich sage ja auch nicht, daß es rechtens war, was ich getan habe. Aber ich muß doch fragen: Wenn es Hunderte ähnlicher Fälle gibt, dann ist das doch anscheinend ein inneres Problem nicht nur von Kurt Kowalla, sondern der Kunstentwicklung, und stimmt denn da alles mit unseren Vorstellungen und Normen?“
„Es überschreitet die Möglichkeiten dieser Verhandlung, darauf eine grundsätzliche Antwort zu geben“, sagte der Schlichter. „Es überschreitet sogar unsere Möglichkeiten, eine solche Antwort zu suchen. Immerhin mag die Verhandlung einen Anstoß in dieser Richtung geben, ich werde das veranlassen. Eine praktische Antwort freilich gibt es, von den dreihundertsiebenundzwanzig Fällen wurden dreihundertfünfundzwanzig auf die gleiche Weise entschieden. Hat noch jemand Fragen?“
Der Schlichter drückte einige Tasten, auf der Bildfläche erschien eine Tabelle: Fälle 327 – Übereinstimmung des Schlichtungsspruchs mit…, Nichtübereinstimmung des Schlichtungsspruchs mit… Fällen.
„Keine Fragen? Dann der Schlichtungsspruch: Personenschaden ist nicht entstanden. Sachschaden ist nur vorübergehend entstanden und wird unmittelbar nach der Schlichtung behoben. In diesem Fall übt die Gesellschaft Toleranz und verzichtet darauf, das Handeln des Kurt Kowalla an den gesellschaftlichen Normen zu messen.“
Auf der Bildfläche erschien bei Übereinstimmung die Zahl 325, bei Nichtübereinstimmung die Zahl 2.
„Einsprüche können innerhalb von vierzehn Tagen erhoben werden. Die Verhandlung ist beendet.“
Der Schlichter, der bei der Verkündung gestanden hatte, setzte sich nun und drückte wieder ein paar Tasten, so daß die Verhandlung und ihr Ergebnis archiviert wurden. Dann hob er den Kopf. „Ich würde mir gern die neue Plastik ansehen“, sagte er, „die Ratgeberin sicherlich auch?“
„Aber gern, kommen Sie mit in mein Atelier“, sagte der Bildhauer erfreut und wandte sich an die Umstehenden, „und wer noch interessiert ist, ist herzlich eingeladen!“
Wenzel hatte sich, während die meisten Leute dem Ausgang zustrebten, nach vorn durchgedrängelt und stand jetzt vor dem Schlichterpult. „Wenzel Kramer, Zweiter Gehilfe der Region“, stellte er sich vor und streckte die Hand zur Grapschkiste aus, die der Schlichter selbstverständlich auch auf seinem Pult hatte. „Ich habe eine Bitte.“
„Wenn sie nicht zu aufwendig ist?“ fragte der Schlichter zurück.
„Bei den dreihundertsiebenundzwanzig Fällen – könnten Sie da bitte feststellen, ob es eine auffällige Altersverteilung unter den Künstlern gibt?“
„Solange Sie keine Namen verlangen, gern“, sagte der Schlichter und schaltete. „Sonderbar“, sagte er, „eine ganz starke Häufung zwischen fünfzig und fünfundfünfzig, hier, sehen Sie, kommen Sie mal rum. Haben Sie das erwartet, war das der Grund Ihrer Frage?“
„Ja, es hat mit einer Untersuchung zu tun, die wir gerade führen, das heißt meine Kollegin Fouquet und ich.“
„Na, wenn ich Ihnen helfen konnte!“ sagte der Schlichter und schaltete die Anlage ab. „Kommen Sie mit ins Atelier?“ Wenzel sah Pauline an, die nickte leicht, sie war also interessiert. „Ja“, sagte Wenzel.
Die Plastik selbst sagte ihm nicht viel, oder besser, nicht viel mehr als die alte, von der er ein Hologramm gesehen hatte. Dafür beobachtete er sehr aufmerksam den Bildhauer, und sein Eindruck, den er schon während der Verhandlung gehabt hatte, festigte sich immer mehr. Als sie später nach Hause gingen, sagte er nach einer längeren Strecke des Schweigens zu Pauline: „Was meinst du, ob wir nicht in einer ganz falschen Richtung suchen?“
„Wir suchen doch gar nicht in einer bestimmten Richtung?“ erwiderte Pauline verwundert.
„Wir haben in der Vergangenheit Dutzende von Menschen ausgeforscht, wir haben tausend Publikationen studiert oder überflogen, wir
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