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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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gern haben und keine neue möchten, aber ich habe ihm freigestellt, über diese Frage im Wohnblock abstimmen zu lassen. Das wollte er jedoch auch nicht.“
    „Herr Kowalla, stimmt das soweit?“
    „Ja, das stimmt.“
    „Dann danke ich Ihnen“, sagte der Schlichter zur Ratgeberin. „Und nun, Herr Kowalla, schildern Sie uns, wie es zu der zerstörerischen Handlung gekommen ist. Beginnen Sie, wo Sie es für notwendig halten.“
    „Ich weiß nicht, wann es angefangen hat“, sagte der Bildhauer, „und ich hab vielleicht auch nicht die rechten Worte, um es treffend auszudrücken. Ich bin ja nun wie jeder andere zehn Jahre lang daran vorbeigegangen, an der Plastik, nur war ich ja der Urheber. Ich denke, daß meine künstlerischen Auffassungen sich in der Zeit gewandelt haben; jedenfalls begann die Plastik eines Tages mich zu stören, ungefähr vor drei Jahren. Zuerst gefiel sie mir einfach nicht mehr, aber da dachte ich noch, der Mensch ändert sich eben, und das ist ein Stück von mir, wie ich früher war. Aber nach und nach, wie ich nun jeden Tag wieder daran vorbeiging, merkte ich, daß sie mich – wie soll ich sagen – nervös machte. Ein paar Dinge mißlangen mir, und innerlich gab ich der Plastik daran schuld, ich hatte das Gefühl, als stünde ich in meiner Entwicklung vor einer Schwelle, die ich nicht überschreiten könnte, ehe ich nicht mit dieser Plastik fertig wäre, und so festigte sich die Absicht in mir, nicht irgend etwas Neues zu machen, sondern diese Plastik neu zu machen. Was ich erreichen wollte, wußte ich, in allgemeinen Zügen jedenfalls, aber ich schaffte es nicht.“
    „Was wollten Sie erreichen“, unterbrach ihn der Schlichter, „können Sie uns das erklären?“
    „Ich wollte, daß der Beschauer sich mehr aufgefordert fühlt, sich selbst und seine Phantasie hineinzuprojizieren, daß er mehr von sich dazugibt, wenn er die Plastik betrachtet, aber nun wieder nicht irgend etwas, also sagen wir mal, nicht so, daß er bei schlechter Laune lauter Krähen und bei guter Laune bunte Kolibris sieht – sondern so, daß er…, nun ja…, das Beste von sich dazugibt und dadurch, wenn er das sieht, selbst auch besser wird, so ungefähr.“
    „Wann faßten Sie den Vorsatz, die Plastik zu zerstören?“
    „Eigentlich gar nicht. Ich hab nur immer deutlicher gemerkt, daß sich die neue und die alte Plastik nicht vertragen, in mir, verstehen Sie, daß sie nicht gleichzeitig existieren konnten, ohne mich zu zerreißen. Dieses Gefühl wurde über Wochen immer stärker, immer unerträglicher, bis…, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe.“
    „Herr Kowalla, jeder von uns übt eine Kunst aus, aber kaum einer geht hin und zerstört sein Werk, bevor er ein neues schafft. Ich denke da zum Beispiel an ein Gedicht, das ich sehr mag und von dem es drei Fassungen gibt – der Dichter hat die ersten zwei in den Bibliotheken nicht löschen lassen, als er die dritte schrieb.“ Der Schlichter drückte einige Tasten auf seinem Pult, an der Schirmwand erschienen Zahlen. „Jeder Mensch ist Künstler, aber es gibt in den letzten drei Jahren auf der ganzen Welt nur – sehen Sie hier –, nur dreihundertsiebenundzwanzig Fälle, in denen Menschen wie Sie gehandelt haben.“
    „Ich hab mir ja auch immer wieder gesagt, daß das nicht der richtige Weg ist, aber welche Möglichkeiten hatte ich denn?“ flüsterte der Bildhauer.
    „Mindestens zwei“, sagte der Schlichter. „Sie hätten die Bewohner Ihres Blocks überzeugen können, daß die Mehrheit einer Neuschöpfung der Plastik zustimmt, dann hätte gewiß auch der Ratgeber des Stadtbezirks seine Zustimmung gegeben. Oder Sie hätten eine andere Plastik geschaffen oder eine bereits vorhandene genutzt, um sie dem Stadtbezirk anzubieten, und wenn Sie Ihre Krise überzeugend dargelegt hätten, so wie hier jetzt, dann hätte man auch in diesem Fall sicherlich zugestimmt, die alte Plastik im Austausch wieder in Ihre Verfügung zu geben. Das hätte freilich verlangt, daß Sie nicht nur mit Ihrem eigenen gespaltenen Ich Dialoge führen, sondern mit anderen Menschen. Die beste Prüfung für eine Ansicht ist der Versuch, andere davon zu überzeugen.“
    „Es geht ja nicht um eine Ansicht – es ist etwas Tieferes. Ich will sagen: Den einen Weg hab ich versucht zu gehen, aber ich habe sofort gemerkt, das nützt nichts, ich brauche die Explosion, und ich brauche sie bald. Der beste Beweis für die Richtigkeit ist die neue Plastik, Sie können sie in meinem Atelier

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