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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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– den Oberteil konnte er schnell aufheizen, der Boden würde sich langsamer erwärmen, und damit auch die unter der Oberfläche gelegenen Teile der Station. Zumindest würde es wohl keinen kritischen Wärmeverlust bedeuten, wenn er noch einmal die Schleuse benutzte und durch die Zimmer ging, und an Sauerstoff würde er ja noch ein paar Reserven mitnehmen können.
    Entschlossen, wenn auch nicht sehr erfreut von seinen eigenen Gedanken, zog Ruben den Raumanzug wieder an, belud sich mit Sauerstoffflaschen und ging zur Station zurück. Die Schleuse machte keine Schwierigkeiten, aber als er drinnen war, stellte er erstaunt fest, daß sein Heizen von außen nicht so wirkte, wie er gehofft hatte, hier in den ersten Räumen, die er betrat, herrschten Temperaturen unter Null, und das konnte ja gar nicht anders sein, wie ihm plötzlich klar wurde, denn dieselbe Isolierung, die die Station vor der Kälte schützte, bewahrte sie nun auch vor der Wärme von draußen. Erregt lief er weiter, bis er den zentralen Raum erreicht hatte, in dem er drei Tage gelebt hatte: auch hier unter Null. Die Algen waren tot. Die Station nicht mehr lebensfähig. Und die Menschen?

    Der kleine Saal mit seinen hundert Plätzen faßte gerade die Zeugen und Gäste, die zur Schlichtungsverhandlung in Sachen Plastik Murzahner Ring gekommen waren. Wenzel hatte Pauline, die als Zeuge geladen war, begleitet, nicht weil er glaubte, daß sie seine Unterstützung brauchen würde, sondern weil ihn die Sache selbst interessierte. Er hätte nicht einmal sagen können, warum, es gab bestimmt kompliziertere Fälle, die in diesen Tagen in der Region verhandelt wurden; aber hier war er beim Vorfall selbst dabeigewesen, und außerdem reizte ihn das Unerklärliche, das Irrationale an dem Vorgang. Was geht in einem Künstler vor, der sein Werk zerstört? Und zwar nicht unmittelbar, nachdem er es geschaffen hat, da wäre die Sache klar: Er fühlt, er hat nicht erreicht, was er schaffen wollte. Nein, die Plastik hatte zehn Jahre dort gestanden, sie hatte nicht gerade Aufsehen in der Kunstwelt hervorgerufen, aber die Anwohner mochten sie und hatten sich an sie gewöhnt; sie stellte einen Baum dar oder ein ähnliches Gewächs, auf dessen Ästen überall Vögel saßen; das Ganze machte einen freundlichen Eindruck – oder vielmehr, hatte einen freundlichen Eindruck gemacht, bis der Schöpfer der Plastik, Kurt Kowalla, mit dem Hammer darauf eingeschlagen hatte.
    Von alldem hatte sich Wenzel anhand von Bildern und Aussagen der Anwohner überzeugt; er hatte sich die Zeit genommen, sich gründlich auf die Verhandlung vorzubereiten, obwohl er dort nichts als Zuhörer sein würde. Er hatte aber doch den einen oder anderen Gedanken, der ihm dabei gekommen war, mit Pauline diskutiert.
    Der Schlichterplatz an der Stirnseite des Saals war noch leer, das Armaturenpult des Schlichters war aber schon aufgebaut, ebenso die Projektionsfläche, auf der Computerauskünfte und Berechnungsergebnisse, falls es solche geben würde, den Zuschauern sichtbar gemacht werden sollten. Die geladenen Zeugen, Betroffenen und Sachverständigen saßen in der ersten Reihe, darunter auch Pauline; Wenzel saß drei Reihen hinter ihr.
    Als der Schlichter den Saal betrat, verstummten die Gespräche, und alle erhoben sich von ihren Plätzen – einer der vielen alten Bräuche, die über den Wechsel von Zeiten, Zuständen und Inhalten hinweg erhalten geblieben waren.
    Der Schlichter, ein weißhaariger Mann um die Hundert, eröffnete die Verhandlung mit der Feststellung von Zeit, Ort und Gegenstand für das Protokoll. Dann rief er den Künstler auf.
    „Herr Kurt Kowalla, Sie sind Dispatcher im Verkehrswesen, Steinmetz, Bildhauer, dreiundfünfzig Jahre alt, Adresse und Personalkode sind im Kopfteil des Protokolls angegeben. Soweit richtig?“
    „Ja, das ist richtig.“
    „Sie haben am elften März gegen zehn Uhr versucht, die Plastik am Murzahner Ring mit einem Hammer zu zerstören. Sie wurden von einem Ordner mit körperlicher Gewalt daran gehindert, wurden kurzzeitig in ärztliche Obhut genommen und haben den begonnenen Versuch dann nicht wieder aufgenommen, ist das richtig?“
    „Ja, das ist richtig. – Ich habe sie vor etwa zehn Jahren gestaltet. Sie ist meine Schöpfung, mein geistiges Eigentum.“
    „Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß das Wort Eigentum in der Umgangssprache zwar noch benutzt wird, aber keinen exakten Sachverhalt mehr ausdrückt. Die Beziehungen zwischen Personen und Sachen

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