Kurs Minosmond
Grüppchen, die daraus eine Pseudoreligion machen, mit allem Unsinn behaftet, den die Menschheit dazu jemals ausgedacht hat, vom Spiritismus bis zur Telekinese. Wir haben ständig alle Hände voll zu tun, um solche Dummheiten zu unterbinden. Aber auch die harmloseren Fälle strapazieren uns sehr. Es nützt uns ja nichts, wenn jemand kommt und erzählt, soundso, mein Mann ist in Rostock ausgerutscht und hat sich das Bein gebrochen, und ich hab es in Berlin zur selben Zeit gewußt, wir haben später sogar die Zeit verglichen. Selbstverständlich ist das in den allgemeinen Fällen ein rückwirkender Trugschluß, aber sagen Sie das mal den Leuten! So sind wir eben fünfundneunzig Prozent unserer Zeit damit beschäftigt, uns selbst die Beine wegzuhauen. Sie wollten etwas fragen?“
„Ja“, sagte Pauline, „ich weiß nicht recht, ich kann mir das alles nicht so richtig vorstellen, aber – wie ist denn das möglich, was Sie vorhin sagten, ich meine, daß sich solche Grüppchen bilden, die einem Aberglauben nachlaufen? In unserer Zeit?“
„Warum denn nicht?“ antwortete der Professor. „In unserer Zeit stabilisiert sich alles, warum nicht auch der Aberglauben?“ Er blickte spöttisch, doch dann verschwand der Schalk aus seinem Gesicht, und er wurde wieder freundlich. „Wir sollten uns vielleicht nicht allzuviel auf unsere Zeit einbilden“, sagte er. „Bei aller Genialität, die sich entfaltet: Mit vierzehn wählt man sein Handwerk, mit achtzehn seine Kunst, mit einundzwanzig seinen Dienst – aber dann hört für mindestens zehn Prozent der Menschen die Entwicklung auf, fragen Sie die Soziologen. Und dafür müssen wir noch dankbar sein, denn wir können so schon all die Genies kaum verkraften, Verzeihung, will sagen, wirksam werden lassen. Mal im Ernst, zwei Drittel der Genialität richtet sich auf das Künstlerische, und da die Hälfte der Künste dauerhafte Werke hervorbringen, muß man sich bald fragen, wohin damit? Aber das sind nicht meine Sorgen. Ich will mal lieber zum dritten Satz übergehen.
Je enger die tatsächliche Forschung ist – und sie ist auf unserm Gebiet sehr eingeengt, das hab ich Ihnen ja geschildert, um so breiter wuchern die Hypothesen. Die Fälle, die wir sicher haben, gehören sämtlich zu dem, was wir gebundene Telepathie nennen – nämlich gebunden an zwei bestimmte Personen, die in einer engen psychischen Beziehung zueinander stehen, Eheleute, Eltern und Kinder, in einigen Fällen auch Freunde, aber immer zwei Personen, und in neunzig Prozent der Fälle mit eindeutiger Festlegung von Sender und Empfänger, nicht umkehrbar. Und hier beginnt auch schon die Einengung: Es kann ja auch Hunderte anderer Empfänger geben, das ist für uns nicht kontrollierbar. Und das Wort ‚gebunden’ schreit förmlich nach seinem Gegenteil: ungebundene Telepathie, also zufällig – oder nach noch nicht bekannten Gesetzen – zwischen Unbekannten entstehend, doch die können wir noch viel weniger nachweisen, also existiert sie erst mal als Hypothese. Oder nicht mal als Hypothese – nur als künftiges mögliches Untersuchungsfeld. Zum Beispiel Problemtelepathie. Vielleicht ist einiges von dem, was der einzelne als Intuition erlebt, in Wirklichkeit telepathisch initiiert von anderen, die am gleichen Thema arbeiten. In der Physik haben sie jetzt eine neue Methode, die auch einmal für uns interessant werden kann, die sogenannte Ensemblegestützte Intuition. Aber da kommen wir vorläufig nicht ran, ich meine, mit Meßgeräten und dergleichen. Eine Zwischenform – nicht ganz gebunden, aber auch nicht ganz ungebunden – könnte die Begegnungstelepathie darstellen, die sich im praktischen Leben vor allem als spontane Sympathie und Antipathie äußert. Nein, ich weiß, das ist weitgehend als Reaktion auf geprägte Muster deutbar, aber es könnte ja sein. Und dann gibt es noch Gerüchte, daß die Leute auf den Venusstationen viel mit Telepathie arbeiten, ich versteh zwar nicht, wieso, aber jede Wissenschaft hat eben auch ihre Gerüchte. Kurz, mein dritter Satz bezog sich auf das, was alles sein könnte. Ich habe schon zuviel geredet. Haben Sie noch Fragen?“
„Einen Fall vorführen können Sie ja wohl nicht“, sagte Wenzel nachdenklich.
„Nein, aber eine Aufzeichnung, wenn Ihnen damit gedient ist. Die Sache funktioniert folgendermaßen: Der Beginn der Sendung läßt sich automatisch am EEG ablesen, der Computer schaltet die Aufzeichnung ein bei Sender und Empfänger und alarmiert uns. Wir setzen uns
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