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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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befallen hatte; es machte ihm deutlich, wie oft er in der letzten Zeit so mißvergnügt aufgewacht war. Viel öfter als früher. Zu oft eigentlich. Aber darüber nachzudenken war erst recht keine Quelle des Vergnügens. Dabei war doch alles schön: das frische Grün, der Sonnenschein, die Morgenkühle, und auch die Leichtigkeit, mit der ihm die Muskeln, Sehnen und Gelenke seines Körpers gehorchten. Zum Abschluß lief er die sechs Treppen zu seiner Interimswohnung hinauf, statt den Lift zu benutzen, und als er dann unter der Dusche stand, hatte er das Mißbehagen fast verscheucht.
    Aber eben nur verscheucht; es hatte sich in irgendeinen hinteren Winkel des Gemüts verkrochen und wartete auf eine Gelegenheit. Das Appartement, eine Gästewohnung aus der Verfügung des lokalen Ratgebers, bot diese Gelegenheit nicht, es war einfach möbliert, aber freundlich ausgestattet, mit einem interessanten Ausblick auf Historisches. Das Frühstück bot diese Gelegenheit noch weniger, denn er hatte es selbst zusammengestellt, und die Zeit des Laufes hatte den verschiedenen Küchenautomaten genügt, das Ihre zu tun.
    Als aber Pauline klingelte und sagte, daß sie mit einem Selbstfahrtaxi unten warte, merkte er, daß das Unbehagen schon wieder und ganz ohne Anlaß aus seinem Versteck hervorgekrochen kam.
    „Schön, daß du dabei bist“, sagte er zu Pauline, als er einstieg, „wir sollten das auch weiterhin so machen, daß wir die wichtigen Termine gemeinsam wahrnehmen. Die für die Ideenfindung wichtig sind“, setzte er noch hinzu, aber das konnte den Satz nicht mehr retten, er hatte Blabla gesprochen, und Pauline hakte sofort ein.
    „Das machen wir doch sowieso“, sagte sie. „Was ist denn mit dir los? Du siehst irgendwie bedrückt aus.“
    „Na, dann sei doch froh, daß wenigstens dein Anblick mich zu freundlichen Äußerungen verführt!“
    Sie schwiegen eine Weile, und dann wurde ihm bewußt, daß dieser Satz eine unverdiente Zurückweisung für Pauline war. „Heute ist der Kontinentalausscheid in meiner Kunst“, sagte er leise. „Normalerweise wäre ich jetzt in Moskau.“
    „Und warum bist du nicht gefahren? Die paar Tage hätten wir wirklich aufbringen können!“
    Wenzel seufzte, und das war für ihn selbst so ungewöhnlich, daß er lachen mußte. Aber dieses Lachen fiel grimmig aus. „Es sind ja nicht nur die paar Tage“, sagte er dann. „Ein Magier muß genausoviel trainieren wie andere Artisten, und wenn er den Ausscheid seines Lebens bestreiten will, muß er noch dazu als Erfinder arbeiten. Auf kontinentalem Gipfel kannst du nicht mehr mit althergebrachten Nummern auftreten, da mußt du Neues bieten, wenn du dich nicht blamieren willst, und – ach!“
    In diesem Ach lag eine solche Resignation, daß Pauline merkte: Sie kannte wohl bisher nur eine Seite von diesem Wenzel Kramer. Gewiß hatte er hier und da einmal, wenn es sich so ergab, ein paar Tricks vorgeführt, und einmal hatte er sogar einen ganzen Abend gegeben, im Vorwerk, als Dank für die Gastfreundschaft, und sie, Pauline, hätte all das meisterlich gefunden wegen der scheinbaren Leichtigkeit der Vorführung und der Unsichtbarkeit der wirklichen Vorgänge. Sie hatte sich vergnügt und nicht weiter darüber nachgedacht. Dabei hätte sie aus eigener Erfahrung wissen müssen, daß kein Künstler unempfänglich ist für die Lockungen des Ruhms, der über das wirkliche Ziel der Kunst, das Erlebnis des Rezipienten, hinausgeht. War sie denn nicht selbst eine Woche lang mit stolzgeschwellter Brust herumgelaufen, als sie einen Kostümwettbewerb gewonnen hatte? Vielleicht waren das Überbleibsel aus früheren Jahrhunderten, vielleicht waren es auch wirklich notwendige Stimuli…
    „Es ist aber nicht nur deswegen“, unterbrach Wenzel ihre Gedanken, „ich glaube, diese Einseitigkeit ist doch eine schwerere Belastung für uns, als ich gedacht hatte. Wir können sie aber nicht umgehen. Wir dürfen uns nur mit dieser einen Sache befassen – oder mit tausend Sachen, aber immer unserm Problem zugeordnet. Und das nicht wegen der Zeit. Zeit hätten wir schon. Vielleicht sollten wir gelegentlich eine Kleinigkeit Kunst und Handwerk betreiben, als seelische Hygiene sozusagen, in homöopathischen Dosen. Aber wir müssen so in diesem Forschungsprozeß drinstehen, daß unser Gehirn alle Einzelheiten begierig aufsaugt und verarbeitet, auch unterhalb des Bewußtseins. Wir kennen nicht die Breite und Richtung dieser Forschung, ihr Ziel liegt im Nebel, wir sind darauf

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