Kurs Minosmond
– waren diese Reaktionen nicht auch manchmal schon recht undeutlich gewesen, und er hatte trotzdem den versteckten Gegenstand gefunden? Hatte er nicht mitunter ein Gefühl der Sicherheit dabei gehabt, das er immer der Routine zugeschrieben hatte, das aber, wie er jetzt dachte, doch vielleicht mehr gewesen war als Routine?
„Sie haben mich unsicher gemacht“, gestand er. „Sie sagten doch, Sie hätten so eine Art Signal, an dem Sie erkennen, wenn der Sender in Tätigkeit tritt – vielleicht wollen Sie mal die Spielperson bei solcher Vorführung mit EEG überwachen?“
„Wär nicht unrecht“, sagte der Gelehrte schmunzelnd, „es liegt zwar etwas außerhalb unserer Arbeitsrichtung, aber irgendwann müssen wir sowieso aus dem engen Kreis heraus.“
„Das Signal“, fragte Pauline plötzlich, „das Signal, an dem Sie so was erkennen – ist das die Grafik über Ihrem Schreibtisch?“
„Richtig“, sagte der Telepathiker überrascht, „das hätte ich ja fast vergessen, das wird Sie interessieren. Das ist nämlich die einzige folgenreiche Entdeckung, mit der wir bisher zum Schatz der Wissenschaften beigetragen haben. Das sind die Geronimo-Spindeln, ungewöhnliche Gehirnwellen im EEG, erst seit rund zehn Jahren bekannt, entdeckt von Doktor Geronimo in Madrid, einem bekannten Telepathiker. Nur haben sie leider nicht direkt etwas mit Telepathie zu tun, es gibt manchmal Telepathie ohne G-Spindeln, und es gibt ziemlich oft G-Spindeln ohne Telepathie, man hat sie bei bestimmten Formen der Hypnose gefunden, bei Selbstheilern, bei den verschiedensten Formen schöpferischer Erregung – freilich immer nur dann, wenn man sie gesucht hat, und das ist noch nicht allzuoft passiert. Telepathiker stehen eben immer noch etwas am Rand der Wissenschaft.“
Sie verabschiedeten sich herzlich, der Telepathiker sprach die Hoffnung aus, daß er habe helfen können, und Wenzel bejahte das, dachte aber dabei: Noch mehr hat mir Pauline geholfen – ich hätte diese G-Spindeln übersehen.
Das Gefühl, zu Hause zu sein, wollte und wollte sich nicht einstellen. Sternenstadt, unweit des großen Kosmodroms an den freundlichen Hängen des Kilimandscharo gelegen, bot unter tropischer Breite und bei gemäßigtem Klima seinen Bewohnern alle Schönheit der Erde, wichtig gerade für die, die die Hälfte ihrer Zeit oder mehr im Raum oder in Gagarin zubrachten. Sternenstadt war ein Paradies, und trotzdem fühlte sich Sibylle Mohr diesmal nicht wie eine Heimkehrerin ins Paradies. Die Schlichtung, die ihr angetragen worden war und die sie nach flüchtiger Musterung der Unterlagen angenommen hatte, fesselte sie außerordentlich, sie forderte schon jetzt alle Kraft und Erfahrung und sie würde, wenn die Ahnung nicht trog, ein bedeutendes Ereignis im Ablauf der gegenwärtigen Forschung überhaupt werden. Und trotzdem.
Ja, natürlich wußte Sibylle, was mit ihr los war. Sie wußte es leider so genau, daß sie selbst sich nicht darüber hinwegtäuschen konnte. Im Vorwerk hatte sie immer mehr die innere Anteilnahme am Tod ihres ehemaligen Gatten verloren, je weiter die Untersuchung sich von Mord und Selbstmord entfernt hatte; dafür hatte der Untersuchende je länger, je mehr Raum in ihrem Herzen eingenommen. So war ihre Abreise ihr wie eine Flucht erschienen. Und das war wohl falsch gewesen, denn wenn man woanders geflohen ist und heimkommt, spürt man doch Erleichterung. Also war es zur Flucht schon zu spät gewesen. Also würde der Repulsion eine Attraktion folgen, physikalisch-räumlich gedacht. Es war allerdings noch nicht sichtbar, wie das vor sich gehen sollte, und das machte sie unfroh und unheimisch, sobald sie von der Arbeit aufblickte. Selbst die Stunde Landschaftspflege, die hier jeder täglich leistete, auch zum eigenen Vergnügen und als körperlichen Ausgleich, und die ihr immer Spaß gemacht hatte, heiterte sie jetzt nicht auf.
Freilich hätte sie Wenzel anrufen können oder er sie; aber sie brauchte dazu einen Grund, keinen Vorwand, sondern einen echten Grund, und sie war sicher, daß er ebenso dachte. Wenn nicht Notwendigkeit sie zusammenführte, und zwar eine so starke Notwendigkeit, daß man sich ihr beugen mußte, dann würden ihre so verschiedenen Berufe und Lebensläufe sie immer wieder auseinanderführen. Es sich leicht zu machen, das führte zu Scheinlösungen, die dem Leben nicht standhalten würden.
Also versenkte sie sich immer tiefer in ihre Arbeit. Und das war auch nötig. Die Vorbereitung der Schlichtung nahm sie
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