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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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ganz in Anspruch, ihren sonstigen Dienst hatte sie abgegeben. Derzeitig erarbeitete sie sich eine Übersicht, hatte bereits eine Liste von Fragen, doch alle waren peripher, trafen nicht den Kern des Problems. Mehrmals bereits hatten ihre Überlegungen eine Formel gestreift, die die Mathematiker der Mannschaft nach den letzten Experimenten aufgestellt hatten und die alle Erscheinungen zwar nicht erklärte, aber ableitbar machte. Jetzt eben stieß sie wieder darauf, aus einer anderen Richtung kommend. Die Formel hatte außer dem Vorteil, daß man sie lange gesucht und endlich formuliert hatte, auch erhebliche Nachteile. Sie bestand selbstverständlich nicht aus einer einfachen Gleichung, sondern aus einem ganzen System von Gleichungen, und sie hatte eine große Zahl freier Parameter, über deren physikalischen Sinn nichts bekannt war, nicht einmal, ob sie einen hatten. Das war durchaus nicht sonderbar, denn die Erforschung der Welt der Bläschen begann ja erst, und dies war der erste mathematische Apparat überhaupt, der wenigstens alle experimentellen Ergebnisse umfaßte. Weitere Experimente würden eine Unzahl neuer Werte und Ergebnisse liefern, und dann würde man sehen, ob sie in die Formel paßten und wo sie ihr widersprachen. So wenigstens wäre der normale Gang der Dinge – wenn es weitere Experimente gäbe.
    Damit war sie wieder bei ihrem Problem. Daß sie noch keine Lösung wußte, beunruhigte sie nicht, das war normal. Niemand hätte eine Schlichtung beantragt, wenn ein bißchen Beschäftigung mit dem Stoff bereits zu Lösungen führen konnte. Sibylle hatte aber schon dreimal erfolgreich als Schlichter gearbeitet und daher Vergleichsmöglichkeiten. Bei allen anderen Fällen war es ihr ziemlich schnell gelungen, sich in das Zentrum des Problems hineinzufragen. Hier stand im Mittelpunkt aller Erkenntnisse über die Bläschen zweifellos dieser Formelapparat, dieses System von Gleichungen. Mit einiger Mühe ließen sich daraus sicherlich ein Dutzend Richtungen ableiten, in die weiterzuforschen erfolgversprechend war. Über die Streitfrage – ob überhaupt weitermachen oder nicht – lieferte die Formel nichts. Es war überhaupt nicht zu sehen, woher eine Begründung für einen Schlichtungsspruch kommen sollte. Sibylle mußte jetzt schon mit der Möglichkeit rechnen, daß ihre Mission scheitern würde, und dann würde sie einen praxisbezogenen Kompromiß anordnen müssen – eine Regelung, die den Streit bestehen ließ, aber beiden Seiten Möglichkeiten und Grenzen für ihre Aktivitäten setzte, und so etwas war manchmal noch schwieriger.
    Trotzdem, solche Schwierigkeit schreckte sie nicht. Im Gegenteil, der Auftrag zog sie gerade durch seine vielen Unwägbarkeiten an. Abenteuer des Verstandes, war es nicht gerade das, was den Beruf des Wissenschaftlers für manche Menschen attraktiv machte, für deren Gefühl das Reich der Kunst zuviel Freiheit und zuwenig Notwendigkeit, zuviel Innenwelt und zuwenig Außenwelt bot? Eine Minderheit freilich, aber immer in der Geschichte waren die Abenteurer in der Minderheit – halt, das wußte sie nicht, soviel Ahnung von Geschichte hatte sie nicht, zurück also zum Problem!
    Wieder zog die Formel sie an. Formeln waren ihr etwas Vertrautes, nicht einfach eine schwierig zu verstehende Folge von Zeichen, Ziffern und Buchstaben, sie nahmen in ihrem Kopf außer dem sprachlichen Ausdruck noch eine andere Form an, die sie nicht recht fassen konnte, die aber spürbar und wirksam war, vor allem, wenn es um Problemlösungen ging; allerdings setzte dieser andere Ausdruck intime Bekanntschaft mit der Formel voraus. Irgendwie dachte sie dann nicht mehr in Worten, sondern in Bildern wie bei der Kunst, aber in abstrakten Bildern, etwa so, als stelle sie sich für die Formel ein physikalisches Modell vor…, alles ungenau, schwer zu fassen, aber wer weiß schon genau, was in seinem Kopf vor sich geht, wenn er sagt: Ich denke.
    Hm, physikalisches Modell. Sie tippte ein paar Zahlen in die Ruftastatur, und sie hatte Glück, als diensthabender Mathematiker meldete sich einer, den sie gut kannte. „Flori“, sagte sie, „es geht um die Bläschen-Formel, kennst du das Ding?“
    „Ja, aber warte, ich hol’s mir auf mein Terminal, ich hab so was immer gern vor Augen, so, da ist sie, schieß los!“
    „Mir ist da so ein Gedanke gekommen. Könnte man nicht ein physisches Modell dieser Formel bauen, ich sage nicht physikalisch, es könnte aus ganz unterschiedlichen Technologien zusammengesetzt

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