Kurs Minosmond
letztlich die Möglichkeit seiner Teilnahme verdankte. Mit anderen Worten: Er steuerte eins der Sicherungsschiffe, die die Antimaterie annihilieren sollten, falls sie außer Kontrolle geriete.
Eine winzige Kugel Antimaterie wurde dreitausend Kilometer über der Erdoberfläche bei stabiler Bahngeschwindigkeit aus der isolierenden Magnetflasche entlassen, das Schiff der Gruppe, die das Experiment führte, blieb seitlich zurück, während die drei Sicherungsschiffe etwas tiefer gingen. Ihr Kurs war so berechnet, daß sie infolge der höheren Winkelgeschwindigkeit in etwa drei Stunden direkt unterhalb der Antimaterie liegen würden.
Sofort nach dem Ausstoß begann die kleine Kuller zu leuchten, so intensiv, daß sie mit bloßem Auge zu sehen war. Daneben, auf einem Bildschirm, hatte Ruben auch die Meßergebnisse von Bord des Experimentführers. Seine Aufgabe war denkbar einfach – wie die anderen beiden Sicherungsschiffe mußte er nur den Kurs halten oder auch wechseln, falls sich das Experiment länger hinzog, und dabei die Zielautomatik für eine Feinstaubbombe überwachen. Ausgelöst würde sie gegebenenfalls vom Führungsschiff, und nur wenn das aktionsunfähig sein sollte, mußte er nach eigenem Ermessen oder nach Absprache mit den anderen Sicherungsschiffen handeln.
Die Annihilation mit den sporadischen Luftmolekülen hatte also begonnen, und sie heizte das Kügelchen bestimmt kräftig auf, denn gar so sporadisch waren die Luftmoleküle dank der großen Bahngeschwindigkeit nicht. Bald mußte der Zeitpunkt kommen, wo nach Vorstellung der Wissenschaftler die Antimaterie – es handelte sich um reines Anti-Eisen – flüssig wurde und dann kurz darauf gasförmig.
Da, jetzt änderte sich etwas, zwar nicht für den Augenschein, aber auf dem Bildschirm: Das Kügelchen nahm Tropfenform an, war also verflüssigt; klar, der Zipfel des Tropfens zeigte nach hinten, und die Vorderfront war merklich heller, denn dort fanden die meisten Annihilationen statt, hauptsächlich Proton-Proton- und Elektron-Positron-Reaktionen. Die Eisenkerne wurden dabei aufgerissen, und es setzten zusätzlich verschiedene Kernreaktionen ein, die den Gesamtablauf regulierten, indem sie den Energietransport verlangsamten; das war aus früheren, kleineren Experimenten bekannt. Ohne diese Reaktionen konnte es keine gasförmige Phase geben; ob sie tatsächlich eintreten würde, das mußte sich jetzt zeigen.
Und da kam sie. Mit bloßem Auge war zu sehen, wie der Tropfen wuchs, innerhalb weniger Sekunden schwoll er an auf Metergröße, und da sein Querschnitt zehntausendmal so groß wie vorher war, galt das ebenfalls für die Zahl der auftreffenden Luftmoleküle. Jetzt war der Rauminhalt MILLIONEN-MAL so groß, und der Ball wuchs immer noch weiter, wenn auch schon langsamer. Und dann hatte er die Größe erreicht, in der sich der Strahlungsdruck der annihilierenden Oberfläche mit dem Dampfdruck von innen die Waage hielt – nun war der Feuerball stabil, eine kleine, von Menschen geschaffene Sonne. Oder bescheidener: ein Modell dafür.
Eine kleine Sonne freilich nur in Rubens Gedanken. Die Experimentatoren interessierten sich gewiß für alles andere mehr als für eine solch utopische Anwendungsmöglichkeit. Sie versuchten die Zusammenhänge zwischen Kern- und Anni-Reaktionen zu fixieren, forschten wohl auch nach Subquarks und Tachyonen.
Ruben jedoch dachte in den anderthalb Stunden, die nun folgten, nur an die Anwendung: Man müßte eine solche Sonne in der Exosphäre des Minos unterbringen, des Riesenplaneten, und zwar so, daß sie immer auf der Linie Minos – Esther stand…
Im Grunde genommen war das alles, technisch gesehen, nur noch ein Problem zielgerichteter Forschung von vielleicht zehn, zwanzig Jahren. Selbstverständlich nur dann, wenn man entsprechende Kräfte darauf, konzentrierte. Aber das eigentliche Problem war wohl das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis – es mußte möglich sein, einen Antimaterieball solcher Größe und Masse zu installieren, daß er für die Esther wenigstens zehn Jahre lang eine stabile Sonne bildete. Dann mußte man ihn mit weiterem Antistoff nachtanken können. Ob das im Bereich des Möglichen lag – diese Frage zu beantworten, waren wohl noch mehrere Experimente nötig.
Ruben ließ sich nicht dazu hinreißen, jetzt selbst Berechnungen anzustellen. Er hatte hier eine wenn auch bescheidene Aufgabe, und die war zu erfüllen. Groß und schwer hing die Erde unter ihm, keine Scheibe mehr, schon eine Kugel.
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