Kurs Minosmond
stießen sie einander ab und trieben, etwas seitlich ausgelenkt, zu den beiden Schiffen zurück, die fingen sie mit einem Magnetfeld wieder ein und stießen sie erneut aufeinander zu, mit stärkerer Kraft diesmal, sie sollten den Strahlungsdruck überwinden. Aber es mußte andere Ursachen haben als den Strahlungsdruck, daß die Kugeln nicht verschmolzen, auch eine nochmalige Erhöhung des Schubs konnte sie nicht dazu bringen.
Und dann dieser letzte Versuch, an den Ruben sich noch Jahre später erinnern sollte, nicht weil Besonderes geschah, sondern weil er das normal Geschehende mit so seltsamen Gefühlen begleitete. Das Leitschiff schickte ihm ein Programm für den Feldgenerator, wonach die Kugel aus Antiplasma zu einem schmalen Pfeil komprimiert und auf die andere Kugel geschossen wurde. Es verlief alles wie gedacht, der Pfeil drang in die Kugel ein, sie blähte sich etwas und blieb danach stabil. Es war für die Wissenschaftler im Leitschiff gewiß ein bedeutendes Ergebnis – für Ruben war es weit mehr. Er sah sich mit seinem Schiff vom Mond Esther zum Planeten Minos fliegen und dort die künstliche Sonne mit einem gigantischen Pfeil aus Antistoff aufladen; er erlebte das intensiver als die Wirklichkeit und wußte doch in jedem Augenblick, daß das nur in seiner Vorstellung geschah. Und gleich danach, er wußte selbst nicht, warum, war ihm zum Lachen zumute, zu einem kleinen Lachen aus Fröhlichkeit.
Gleich nach ihrer Rückkehr vom Telepathiker hatten Pauline und Wenzel das Computernetz befragt, was es zu den G-Spindeln zu sagen habe. Das Ergebnis war entmutigend – nicht wegen der Geringfügigkeit, sondern im Gegenteil wegen der Fülle der Angaben. G-Spindeln traten auf bei großen schöpferischen Leistungen in allen Künsten und Wissenschaften, aber auch bei starken psychischen Belastungen und sogar bei gewissen Krankheiten. Es gab mehrere Dutzend Forschungsgruppen, die sie untersuchten, aber jede nur unter einem bestimmten Blickwinkel; die Zeit für eine Synthese des Wissens darüber war offensichtlich noch nicht gekommen. Kein Wunder, wenn man bedachte, daß sie erst zehn Jahre bekannt waren. Wieso eigentlich? Das EEG wurde seit Jahrhunderten angewandt, warum ist nicht früher jemand darauf gestoßen? Konnte man daraus schlußfolgern, daß es die G-Spindeln erst seit Jahrzehnten gab? Als Schlußfolgerung war das sicherlich unzulässig, aber als Vermutung mochte es vielleicht hingehen, als Fragen produzierende Spekulation gewissermaßen. Dann also hätte sich mit dieser jetzt lebenden Menschheit etwas ereignet, was es früher nicht gab, und wie es schien, etwas sehr Umfassendes, und es wäre nun herauszukriegen, was.
Ob man dieser Spekulation wirklich nachgehen sollte, darüber müßte man wohl am besten einen Praktiker befragen. Immerhin hatte sie etwas gemeinsam mit den Gedankengängen, die Pauline und Wenzel seit einiger Zeit verfolgten.
Aber das machte die G-Spindeln auch gleich wieder verdächtig – war es nicht vielleicht bloß Wunschdenken? Schließlich – und deswegen waren die beiden bisher nicht auf diese G-Spindeln gestoßen – zeigten die keinerlei Altersabhängigkeit, keine Häufung um die Lebensmitte. Dem konnte man jedoch entgegenhalten, daß die bisherigen Untersuchungen sich ja gar nicht das Ziel gesetzt hatten, statistisch repräsentativ zu sein.
Wie auch immer – Pauline sprach mit einigen Medizinern, die am Projekt ATTACKE mitarbeiteten; sie waren ja fast alle Praktiker, was das EEG anging. Es kam zwar keine einhellige Meinung dabei heraus, aber die meisten hielten es für wahrscheinlich, daß die G-Spindeln schon früher entdeckt worden wären, wenn es sie gegeben hätte. Wenzel gegenüber mußte Pauline freilich zugeben, daß diese Majorität fragwürdig war: Der Gedanke, es könnte so sein, war für alle neu gewesen, noch nie war einer von ihnen daraufgekommen, und das Neue zieht ja bekanntlich an.
Drei Tage hatten sie damit zugebracht, sich eine Übersicht über dieses Problem zu verschaffen, dann legten sie es zunächst einmal zu den Akten.
Das war nichts Ungewöhnliches; mit den meisten Dingen und Fragen, denen sie sich zuwandten, ging es ihnen ebenso. Sie hatten sich längst daran gewöhnt und hofften nur, daß aus der Quantität irgendwann eine Qualität herausspringen würde, wie sie sich auch daran gewöhnt hatten, alle guten Sitten zu verletzen, indem sie fünf, sechs Stunden täglich Dienst taten. Und immer noch verging die meiste Zeit mit Befragung des
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