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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Auswirkungen auf Intonation und Ausdruck hat, die bei der heutigen polyartistischen Bildung niemandem entgehen. Ganz klar wird das bei einem Musiker, der auf einem Instrument spielt. Aber wie soll man sich unter Schwerelosigkeit etwa die Kunst des Tänzers vorstellen? Rubens Kunst also?
    Seine Ideen, die er von der Esther, dem Mond des Minos, mitgebracht hatte, nämlich daß man den besiedeln könnte, und über die er mit Eifer gesprochen hatte – sie hatten sehr unterschiedliche Aufnahme gefunden. Aber die Wandlung seiner Tanzkunst, die in den knapp drei Jahren der Schwerelosigkeit vorgegangen war, hatte fast so etwas wie eine neue Kunstart entstehen lassen. Ansätze und Versuche hatten schon vor ihm einige Tänzer-Kosmonauten unternommen, aber keiner bisher hatte soviel Zeit gehabt wie er – soviel Zeit und soviel Platz.
    Für seinen Tanz hatte Ruben sich eine Musik ausgesucht, die jeder kannte, die kosmische Suite Nummer fünf von einem bekannten Komponisten, der auch als Physiker diente, nur in einem anderen Sektor des Riesenprojekts Raumkrümmung, dessen Musik aber auch auf der Erde beliebt war, nicht nur bei seinen Dienstkollegen. Die Suite begann mit langsamen, gleitenden, ineinander übergehenden Orgeltönen. Ruben hatte die Magnetschuhe ausgezogen und löste sich mit einem für die Zuschauer unmerklichen Fußdruck vom Boden, auf den er sich gekauert hatte. Er hatte sich dabei eine Drehung um die Querachse und eine weitere um die Längsachse des Körpers erteilt, die er jedoch erst einmal stark verlangsamte, indem er den Körper in die Waagerechte streckte.
    Wie der Glanz irdischen Tanzes in der scheinbaren Schwerelosigkeit des Tänzers besteht, so bestand hier die Eleganz der Vorführung, von allen anerkannt, in der scheinbaren Schwere. Obwohl Ruben sich nur unter der Wirkung der Drehimpulse bewegte, verstand er es doch, zu entsprechenden Passagen der Musik immer wieder den Eindruck hervorzurufen, als schreite er in der Luft. Im Mittelteil der Suite, der aus schnellen walzerähnlichen Tonfolgen bestand, rollte sein zu einem Knäuel zusammengezogener Körper an der Wandung der Zentrale entlang wie ein hüpfender Ball, es war einfach nicht mehr vorstellbar, wie Ruben das zustande brachte. Aber im Schlußteil steigerte er sich noch. Die Musik ließ mehrfach auf einen stark betonten Taktteil eine Pause folgen, und Ruben gelang es, jeweils mit den Füßen so aufzukommen, als falle er schwer aus der Luft, und dann die Pause hindurch scheinbar regungslos zu verharren, als stehe er fest auf dem Boden.
    Dafür hörte sich aber der Beifall auch an, als stamme er nicht von fünf Kollegen im Zollstock, sondern von fünfzig auf der Erde. Esther bat ihn auf den Platz neben sich, und Ruben war ein wenig enttäuscht, daß sie jetzt von etwas ganz anderem sprach.
    „Dir ist vorhin etwas Wichtiges eingefallen, ich hab es dir angesehen“, sagte sie. „Kann ich erfahren, was?“
    Ruben zögerte. Eigentlich hatte er sich die Sache noch durch den Kopf gehen lassen wollen, aber siehe da, die Kunst hatte auch ihn weitergebracht, plötzlich kam ihm ein Einfall, wie man vielleicht das Problem lösen könnte.
    „Mir ist aufgefallen“, sagte er, „daß diese großartige Methode überhaupt nichts taugt, wenn es um etwas Bestimmtes geht. Zum Beispiel um die Schrumpfung. Warte, ich weiß, das ist nicht neu und… und…, und ich habe vielleicht eine Idee, wie man beides vereinbaren kann. Wenn sich jetzt rausstellt, daß das erzeugende Moment für die Schrumpfung am Anfang von Akitos Eingreifen lag, also in der fünfzehnten Sekunde, könnte man dann nicht bis dorthin, also bis zu dem Erzeugenden, alles laufenlassen und dann mit der EGI einsetzen? Was meinst du?“
    „Siehst du“, sagte Esther, „du hast dich gegen den Außenseiter gesträubt, aber jetzt wirst du zugeben müssen: Er bringt was ein. Wenn er mit dem Richtigen besetzt ist.“
    Sie ließ ihre weißen Zähne blitzen, um das Lob abzumildern, und Ruben freute sich – über die Anerkennung seiner Idee wie auch darüber, daß dieses Lächeln ihn nicht mehr aus der Fassung brachte.

    Wenzel Kramer hatte Pauline herumgeschickt im Vorwerk, sie sollte die Leute fragen, wer etwas über regelmäßige Besucher oder überhaupt persönliche Kontakte des Toten wußte, seien sie nun dienstlicher, handwerklicher oder künstlerischer Art. Er saß an der Grapschkiste, dem Personenidentifikator der Ratgeberin, der ja zugleich letztes Glied des großen Verwaltungsnetzes war, das die

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