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Kurs Minosmond

Kurs Minosmond

Titel: Kurs Minosmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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fragte der junge Mann zögernd, „es war eine – so was wie eine unbekannte Krankheit oder so?“
    Jetzt zuckte Wenzel mit den Schultern. „Wir wissen es nicht. Die Ärzte schließen eine körperliche Erkrankung oder Vergiftung aus, wenigstens in dem Fall, den wir untersuchen, und bei Ihrem Vater war es ja wohl auch so. Wir können bisher leider nur sagen, was es nicht ist.“ Er erhob sich. „Vielen Dank noch mal. Wenn wir etwas Genaues wissen, informiere ich Sie. Es kann aber lange dauern.“
    Er sah dem jungen Mann ins Gesicht, und es tat ihm leid, sich so nichtssagend zu verabschieden; denn daß der Sohn weit mehr an dem Vater gehangen hatte, als der Wortlaut seiner Antworten erkennen ließ, war ihm längst klargeworden.
    Die Fleischproduktion für den Stadtbezirk befand sich in einem Gebäudekomplex im Südosten Berlins, der so alt war, daß er sicherlich schon vor Jahrhunderten irgendeine Fabrikation beherbergt hatte. Die Diensthabende, eine ältere Frau, guckte zuerst ungläubig, als Wenzel sich vorstellte, dann fingen ihre Augen zu leuchten an, und sie murmelte, während sie öffnete und Wenzel einließ, so etwas wie: „Nee, daß ich das noch erlebe, daß sich mal einer für uns interessiert!“ Vor Aufregung hätte sie fast vergessen, die Tür abzuschließen – Lebensmittelproduktion geht ja sicherheitshalber immer hinter verschlossenen Türen vor sich.
    „Ich muß Sie gleich enttäuschen“, sagte Wenzel, noch während sie zur Steuerzentrale der Diensthabenden gingen, „ich interessiere mich nicht für die Produktion.“
    „So? Na, macht nichts, wer tut das schon, alle Leute essen jeden Tag Fleisch, aber glauben Sie, daß sich irgend jemand darum kümmert, wie das hergestellt wird? Man gerade so, daß wir mal einen gewinnen, der den Dienst hier weiterführt, wenn einer ausscheidet. Aber dann sind’s meistens Ältere, zum Beispiel, wenn sie die Prüfungen als Lehrer nicht bestanden haben wie ich beispielsweise.“
    In der Zentrale fing sie gleich an, den Ablauf zu erklären, und sie tat das mit großem innerem Bedürfnis, daß Wenzel sie nicht unterbrach; außerdem sagte er sich, daß er schon einen gewissen Überblick haben müsse, um sich halbwegs in die Gedanken und Gefühle des Verstorbenen zu versetzen oder auch nur, um nicht allzu dumme Fragen zu stellen.
    Tausend Muskelstränge verschiedener Fleischsorten wuchsen hier aus Tierzellen und lieferten je Tag etwa fünfundzwanzig Tonnen Fleisch, die dann automatisch abgetrennt, verpackt und im Kühlkeller zur Reifung gestapelt wurden. Die Nährstoffe, ebenfalls fünfundzwanzig Tonnen am Tag, wurden über das Wirtschaftspipelinesystem angeliefert und automatisch zu Nährlösung verarbeitet. Der Diensthabende – es gab sechs während des Tages, nachts lief die Produktion unbeaufsichtigt – hatte neben allgemeiner Überwachung zwei Aufgaben: Stichprobenhaft die Qualität zu kontrollieren und einmal am Tag eine neue Tierzelle anzusetzen, die dann wieder für drei Jahre Fleisch lieferte. Die gesamte Anlage lief seit mindestens zehn Jahren – weiter reichte die Erinnerung der Diensthabenden nicht zurück – ohne Beanstandung. „Wenn man nicht“, so schloß die Frau, „die Qualität als heilige Pflicht gegenüber seinen Mitmenschen ansehen würde, dann würde man hier vor Langeweile sterben. Aber jetzt müssen Sie sich einen Augenblick gedulden, eine Kontrolle ist an der Reihe.“
    Auf ihrem Arbeitstisch erschien ein Schälchen mit einer Fleischscheibe. Die Diensthabende rieb die Scheibe zwischen Daumen und Zeigefinger, roch an den Fingerbeeren und nickte; dann zerteilte sie die Scheibe geschickt und schnell in ein halbes Dutzend Stückchen, die sie in ebenso viele Schälchen legte, mit denen sie dann die verschiedensten Geräte beschickte. Die meisten gaben Ergebnisse über Lämpchen und Skalen aus, deren Sinn Wenzel nicht verstand, aber nach fünf Minuten nahm sie aus einem Gerät das Schälchen, piekte mit einer Gabel in das Fleischstückchen, pustete es an, roch daran und steckte es dann in den Mund, kaute und nickte zufrieden. „In Ordnung!“ Sie drückte ein paar Tasten, es piepte, und alle Skalen und Lämpchen erloschen.
    „Und nun sind Sie an der Reihe“, sagte sie. „Was möchten Sie wissen? Zehn Minuten haben wir Zeit, bis die Ablösung kommt. Das heißt, ich hab natürlich auch mehr Zeit, wenn es nötig ist.“
    „Es geht um Klaus Rebner“, sagte Wenzel.
    „Um ihn oder seine Erfindung?“
    „In erster Linie um ihn. Was halten

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