Kurs Minosmond
unterspezialisierten Form studiert hatte, die Verfasserin des dritten Artikels nämlich, Professor Klara Mannschatz, und arrangierte eine Verabredung. Als Wenzel dann ins Zimmer trat, kam ihm die Frau sofort bekannt vor, sie lächelte etwas abwartend, etwas spöttisch, und da wußte er auch schon, wer das war.
„Klarissima“, sagte er, „die Überraschung ist gelungen!“
„Dank dem überlebten Unfug, daß die Frauen ihren Namen ändern, wenn sie heiraten“, sagte sie. „Ich hab natürlich gleich gewußt, wer da auf mich zukommt, als der Doktor deinen Namen nannte. Hat mich interessiert, ob du mich wiedererkennst und woran!“
„An der Schönheit“, sagte Wenzel unverfroren. „Oder, wenn du es wirklich wissen willst, an dem spöttischen Lächeln.“
Sie waren Kommilitonen gewesen in Prag und Berlin, über ein halbes Jahrzehnt hin, immer freundschaftlich verbunden, aber ohne erotisches Interesse füreinander, was vielleicht die Haltbarkeit ihrer Beziehung erklärte wie auch die schnelle und schmerzlose Trennung, nachdem ihre beruflichen Wege auseinandergegangen waren.
Sie unterhielten sich eine Weile über die Studienzeit und gemeinsame Bekannte, nicht lange, nur so viel, wie nötig war, um etwas von der alten Vertrautheit wiederherzustellen. Dann erläuterte Wenzel, was ihn hergeführt hatte’ und was er vorhatte.
„Du hast wohl recht“, sagte Klara Mannschatz nachdenklich, „über statistische Untersuchungen führt der Weg nicht weiter, das haben wir selbst festgestellt; vielleicht bringen Untersuchungen von Einzelfällen mehr – oder geben wenigstens neue Anstöße. Ich würde gern von deinen Untersuchungen profitieren. Möglicherweise mich später auch anschließen.“
„Sehr willkommen“, sagte Wenzel. „Aber woher nehme ich die Einzelfälle?“
„Ich kann ein paar rauskriegen. Einen kenn ich sogar. Du mußt die Leute aber selbst fragen.“
Wenn Wenzel einen Namen hatte, konnte er auch die Adresse sowie Geburtstag und berufliche Tätigkeiten erfragen, das gehörte zu den Informationen, die für ihn als Zweiten Gehilfen der Region zugänglich waren. Wolfgang Rebner, Sohn des verstorbenen Klaus Rebner, war Stadtgärtner, Töpfer, Keramiker, alle drei Berufe waren offenbar eng miteinander verflochten, und so wunderte sich Wenzel nicht, auf einen freundlichen, gemächlichen jungen Mann zu treffen, der Zeit hatte und auch nicht abgeneigt war, über seinen Vater zu sprechen. Sie setzten sich in einer kleinen Parkanlage im Herzen von Berlin, die der junge Mann gerade betreute, auf eine Bank – es war ein schöner Frühlingstag, und man konnte es da schon eine Weile aushalten.
Der Vater hatte einen seltenen und interessanten Dienst versehen: Qualitätsprüfer bei der Fließfertigung von Fleisch in einem der kommunalen Versorgungsbetriebe. Sonst war er ein regelrechter Pechvogel gewesen, in des Wortes unangenehmer und zugleich harmloser Bedeutung: Großes Unglück hatte ihn nicht erreicht, das war ja auch überhaupt selten geworden; aber dumme, behindernde Zufälle, die zu überwinden immer einigen Aufwand gekostet hatte, waren ihm auf Schritt und Tritt zugestoßen. Nach Meinung des Sohnes hatte ihn das lange geärgert und zermürbt, bis er sich schließlich auf eins konzentrierte und in aller Stille daran arbeitete, eine verbesserte Aromakontrolle zu entwickeln, was ihm auch gelungen sei und zu dem ersten großen Erfolg seines Lebens geführt habe. Und gerade deshalb sei es allen so widersinnig, ja geradezu absurd vorgekommen, daß er bald darauf starb.
Was das für dumme Zufälle gewesen seien, wollte Wenzel wissen, ob er da Beispiele nennen könne.
„Beispiele die Fülle“, sagte der Sohn. „Ein Keramikteller, heimlich für die Mutter zu Weihnachten gebrannt, und eine Woche vor den Feiertagen tauscht sie sich einen fast gleichen bei einem Kunstkollegen von Vater ein. Ein anderes Beispiel: Vater muß zu einer dienstlichen Fachberatung, ganz was Wichtiges, er soll einen Vortrag halten, er setzt sich also in ein E-Taxi. Es gibt…zigtausend davon in Berlin, ich hab noch nie gehört, daß eins eine Panne hatte – Vaters hatte eine. Und nicht irgendwo, nein, mitten auf der Kreuzung. Mehrere andere bilden ein Knäuel, die Verkehrsordner kommen, und ehe sie alles entwirrt haben, ist die Beratung vorbei. Oder ganz einfach – nahm er den Regenschirm mit, kam die Sonne durch, nahm er ihn nicht mit, regnete es. Oft ausprobiert. Man konnte Wetten darauf abschließen. Zehn Prozent
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