Kurs Minosmond
Verlustquote.“
„Aber mit der Familie hat er Glück gehabt?“
„Und wir mit ihm. Er war ein guter Mensch. Gütig. Als Kinder müssen wir ihm ja sehr zugesetzt haben, weil wir immer über sein Pech gelacht haben und ihn so gezwungen haben mitzulachen; heute denk ich mir manchmal, ob er vielleicht seinen Verdruß nur tiefer vor uns versteckt hat? Als wir dann groß waren und verständiger, da hat er die Sache, glaube ich, wirklich mit Humor genommen.“
„Wissen Sie, ob er irgendwann mal an Selbstmord gedacht hat?“
„Dazu war er nicht der Mensch. Nein, unvorstellbar. Obwohl: gedacht? Nur gedacht? Mit dem Gedanken gespielt? Wer will das sagen?“
„Und in den Berufen, was überwog da – Erfolge oder Enttäuschungen?“
„Halb und halb. Die Erfolge beruhten auf Können, die Enttäuschungen auf Pech; wenn Sie wissen wollen, wie das in unserer Kindheit war, müssen Sie unsere Mutter fragen. Aber besser, Sie fragen sie nicht. Sie ist noch lange nicht drüber hinweg.“
„Ich werde sie nicht belästigen“, versprach Wenzel. „Zumal sie ja nicht im Lande war, als ihr Vater starb.“ Er wußte das von Klara. „Aber vielleicht können Sie sich überwinden und mir wenigstens über diesen Tag Genaueres berichten. Sie haben doch Ihren Vater gefunden?“
Wolfgang Rebner schluckte ein paarmal, dann nickte er.
„Konnt ich mir ja denken, nur um ein Schwätzchen sind Sie sicher nicht hergekommen“, sagte er. „Also das war so: Frühmorgens im Dienst bekam er die Urkunde für seine Erfindung, und es soll alles prima gewesen sein, die richtige Mischung zwischen kollegial und würdevoll, jedenfalls waren alle bester Laune, aber vielleicht fragen Sie selbst noch mal in der Fleischbude nach, wissen Sie, wo? Ja? Gut. Gegen elf war er dann im Töpferbüro, wegen Materialbestellung, doch nur kurz, immer noch fröhlich und guter Dinge. Anschließend hat er sich bei einem Bekannten, einem Tischler, ein paar Leisten zu einem Rahmen für die Urkunde zusammengehauen, da hat er noch Witze gemacht: das halbe Leben, um sie zu kriegen, die Urkunde, die andere Hälfte, um sie anzugucken. Dann muß er wohl nach Hause gegangen sein. Ich hab ihn abends gefunden – vom Stuhl gefallen, den Kleber in der Hand, der Rahmen mit der Urkunde heruntergefallen und gebrochen. Die Hinterseite war bereits mit Kleber eingestrichen. Es muß passiert sein, gerade als er das Ding gegen die Wand drücken wollte.“
Wenzel lauschte der Erzählung des Sohns nach. Da gab es durchaus Parallelen zu Otto Mohr, wenn auch verwischt, ungenau: das freudige Ereignis, hier schon vollzogen, dort in Vorbereitung. Oder? War vielleicht dieses Glasstück, das Otto Mohr durch den Hals gefahren war, ein eben ausgewechseltes Teil des Raumteilers gewesen, das letzte nicht ganz stimmige vielleicht…? Man mußte weitere Fälle untersuchen, ob sie auch solche Parallelen aufwiesen. Es wurde jedenfalls jetzt schon sichtbar, daß etwaige Parallelen das Gewicht der Einzelheiten sehr verändern würden. Die Urkunde hatte jedenfalls bestimmt keine Töne von sich gegeben, keine psychische Rückkopplung lag in diesem Fall vor. Oder?
„Hatte diese Handlung“, fragte Wenzel, „ich meine das Aufhängen der Urkunde, oder auch der Ort, wohin er sie hängen wollte, oder irgend etwas anderes in diesem Zusammenhang eine überhöhte Bedeutung für Ihren Vater gehabt? Etwas Symbolisches oder Gleichnishaftes?“
Der junge Mann schüttelte langsam den Kopf. „Ich kann mir’s nicht vorstellen“, sagte er.
„Aber absolut verneinen wollen Sie auch nicht?“
Der junge Mann zuckte mit den Schultern.
„Hat Ihr Vater musiziert? War er geräuschempfindlich?“
„Eigentlich alles normal. Aber darf ich jetzt auch mal was fragen?“
„Ja, gleich, nur noch zwei Fragen: Musizierte Ihre Mutter oder ein anderes Familienmitglied?“
„Nein.“
„Und Ihr Vater, was mochte er besonders? Spielte er ein Instrument?“
„Er hat uns, als wir Kinder waren, ein paarmal etwas auf der Mundharmonika vorgespielt, im übrigen war er nur Konsument. Hauptsächlich leichte Musik. Ein bißchen Folklore.“
„Danke“, sagte Wenzel etwas enttäuscht, aber nicht zu sehr, denn eine solche Parallele wäre doch zu äußerlich gewesen. „Und nun Ihre Frage?“
„Warum wollen Sie das alles wissen? Und warum gerade das – Musik und so?“
„Es gibt einen ähnlichen Todesfall. Wahrscheinlich sogar viele. Wir suchen nach gemeinsamen Punkten, verstehen Sie das?“
„Das würde also heißen“,
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