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Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Titel: Kurschatten: Ein Sylt-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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war es, als könnte hinter jedem Mauerstück die Gefahr lauern. Das Böse, das Vernichtende! Sie fuhr herum, weil es plötzlich so schien, als schliche sich jemand von hinten an, aber es war nur ein leerer Plastiksack, der vom rauen Betonboden aufgewirbelt worden war.
    Sie schlich auf die Leiter zu, die dort stand, wo es später mal eine Treppe geben würde. Von oben waren die Stimmen gekommen! Nur kurz, dann waren sie mit der nächsten Bö davongeflogen. Aber dass sie da gewesen waren, daran zweifelte Mamma Carlotta keinen Augenblick. Nur … was ging dort oben vor?
    Sie hatte gerade den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter gestellt, da hörte sie die Stimmen erneut. Es waren zwei Frauen! Und sie kannte beide. Wütend und aggressiv klangen sie, voller Zorn und Verachtung. Aber wer stieß die Vorwürfe aus? Und wer lachte hämisch darüber? Welche war die Angreiferin?
    Dann plötzlich ein Gerangel! Das Scharren von Füßen drang die Leiter herab, das Klappern der Gerüstplanken, Ächzen, grimmiges Stöhnen, ängstliches Wimmern. Dann war es plötzlich mucksmäuschenstill! Nur noch der Sturm war zu hören. Was war da oben passiert?
    Für Mamma Carlotta gab es nun kein Halten mehr. Vorsichtig erklomm sie Sprosse um Sprosse, bis sie die erste Etage des Baugerüsts überblicken konnte. Am Ende entdeckte sie zwei Beine, sie steckten in Cowboystiefeln. Weiter hinten entdeckte sie zwei weitere Beine. Und dann sah sie, dass Wiebke Reimers eine Latte in Händen hielt, die mit Nägeln bespickt war. Drohend hielt sie die hässliche Waffe in Händen, bereit, zuzuschlagen …
    Mamma Carlotta empfand schlagartig eine tiefe Müdigkeit, eine so gewaltige Enttäuschung, die sie beinahe bewogen hätte, umzukehren und sich feige davonzuschleichen. Also doch Wiebke Reimers!

S ören hatte sich ans Steuer gesetzt, ohne zu fragen, ob es seinem Chef recht war. Er traute Erik nicht viel zu, wenn es darum ging, möglichst schnell von einem Ort zum anderen zu kommen. Und Erik war es recht so. Beim Autofahren konnte er nicht nachdenken, und es gab noch so vieles, worüber er zu grübeln hatte.
    »Hätte ich die Obduktionsberichte nur eher gelesen!«, stöhnte er, als Sören in die Kjeirstraße einbog. »Was mag sie vorhaben?«
    Wieder verfiel er in dumpfes Brüten. Auch Sören schwieg, konzentrierte sich auf den Verkehr und wollte anscheinend weitere Selbstanklagen seines Chefs nicht herausfordern.
    Gerade kam die Nordseeklinik in Sicht, als Erik zusammenzuckte und auf eine Person am Straßenrand zeigte. »Stopp! Anhalten!«
    Erschrocken stieg Sören auf die Bremse. Der Wagen hinter ihnen kam mit quietschenden Reifen gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Hupend zog er vorbei, auf dem Beifahrersitz wurde wütend gestikuliert.
    Sören atmete tief durch. »Was ist los?«
    Erik stieß die Beifahrertür auf, die ihm sofort vom Sturm aus der Hand gerissen wurde. Er hatte Mühe, aus dem Auto zu kommen, duckte sich vor dem Wind und lief zu dem Mann, der ihm nun den Rücken zukehrte. Er hielt den Daumen heraus und konzentrierte sich auf die Autos, die auf ihn zukamen.
    Als Erik ihn von hinten ansprach, fuhr er erschrocken herum. »Niccolò? Bist du das?«
    Nun erkannte er Erik und begann zu lachen. »Enrico! È bello vederti! Dio mio! Bis man hier jemanden findet, der einen mitnimmt …!«
    »Willst du zu uns?«
    »Naturalmente! Wohin sonst? Tante Carlotta ist auch hier!«
    Niccolò Capella war ein Mann in Eriks Alter, sah aber jünger aus. In seiner Gegenwart hatte Erik sich immer älter gefühlt, als er war. Niccolò war größer und schlanker als Erik, temperamentvoller, sportlicher, redegewandter, charmanter und natürlich bestens trainiert. In seiner Gegenwart fühlte Erik sich immer alt.
    Die dichten schwarzen Haare hatte Niccolò so straff nach hinten gegelt, dass ihnen nicht einmal der Sturm etwas anhaben konnte. Seine dunklen Augen funkelten, die scharfe, ausgeprägte Nase verlieh ihm männliche Stärke. Er trug sehr enge Jeans, in denen Erik es keine halbe Stunde ausgehalten hätte, und eine kurze Jacke, die ab und an den Blick auf einen winzigen, aber eindrucksvollen Streifen seines dunkel behaarten Waschbrettbauchs freigab.
    Niccolò griff nach seinem Rucksack und hängte ihn sich über die rechte Schulter. »Ist es noch weit?«
    »Das nicht, aber …« Erik schob Niccolò zu seinem Auto und öffnete die hintere Tür. »Wir sind dienstlich unterwegs und haben es eilig. Sehr eilig sogar.«
    Niccolò ließ sich auf den Sitz fallen und lachte

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