Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
rhythmische Schnarren von einem vibrierenden Handy stammte, das auf der Theke lag. Wiebkes Handy!
Vorsichtig nahm Mamma Carlotta es zur Hand und starrte aufs Display. »Erik Wolf«, las sie und sah Fietje fragend an. »Mein Schwiegersohn ruft Wiebke Reimers an. Warum?«
»Woher soll ich das wissen?«, brummte Fietje zurück. »Aber gehen Sie besser nicht dran, Signora! Sonst müssen Sie am Ende noch erklären, wo Sie sind.«
Mamma Carlotta nickte, wartete so lange, bis das Brummen ein Ende hatte, und band sich dann die Schürze ab. »Ich glaube, das Mittagsgeschäft fällt aus. Kein Wunder bei diesem Wetter! Da bleibt jeder zu Hause.«
Fietje sah sie ahnungsvoll an. »Und Sie? Wollen Sie etwa gehen?«
»Ich muss mir einmal das Meer ansehen. Noch nie war ich hier, wenn eine Sturmflut erwartet wurde.«
Fietje hatte eine Menge dagegen einzuwenden, fürchtete angeblich, dass sie vom Kliff gepustet oder in ihrem Leichtsinn von einer großen Welle ins Meer gezogen würde, aber Mamma Carlotta wusste natürlich, dass er nur Angst vor Kunden hatte, die Pommes frites bestellten und ihn damit zwangen, mit heißem Fett zu hantieren.
»In einer halben Stunde bin ich zurück.«
E rik legte enttäuscht das Telefon weg. »Sie nimmt nicht ab.«
Sören versuchte es mit zur Schau getragener Gleichgültigkeit und einem missmutigen Schulterzucken. »Sie hat keinen Bock zu telefonieren oder keine Zeit oder …«
»Da stimmt was nicht.«
Sören stand auf und ging zur Tür. »Chef, Sie sollten sich lieber überlegen, wie wir an Beweise kommen, die wir der Staatsanwältin vorlegen können. Ich für meinen Teil gehe jetzt noch mal alle Protokolle durch, und Sie sollten endlich die Obduktionsberichte lesen. Dann nehmen wir uns Tove Griess noch mal vor, und wenn wir danach immer noch nicht schlauer sind, gehen wir nach Hause und fangen morgen noch mal von vorne an.«
Als Sören das Zimmer verlassen hatte, blieb Erik eine Weile bewegungslos sitzen, war in Versuchung, seine Pfeife hervorzunehmen, unterließ es dann aber und griff lustlos nach dem ersten Obduktionsbericht. Es war der von Matilda Pütz. Es fiel ihm schwer, ihn zu lesen, da es ihm nicht gelingen wollte, den Gedanken auszublenden, dass er die Person, um die es hier ging, persönlich gekannt hatte. Er sah die junge Matilda Pütz vor sich, ihren verliebten Blick, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, ihre Enttäuschung, wenn sich wieder mal alles um Corinna drehte, die Resignation, die sich oft auf ihrem Gesicht breitmachte.
Nun war Corinna es, die verstehen musste, dass er sie nicht liebte. Nicht mehr! Und ihre Miene war die Gleiche wie damals Matildas.
Er blätterte durch den Obduktionsbericht, überflog die Passagen, die ihn zu sehr bedrängten, ihn an ihren Blick und ihr Gesicht erinnerten, und blieb dann an einem Absatz hängen, der so sachlich war, dass er ihn sich zumuten mochte.
Kurz darauf erstarrte er. Seine Augen weiteten sich, er konnte den Blick nicht losreißen. Nur mit Mühe hob er den Kopf, murmelte vor sich hin, was Dr. Hillmot geschrieben hatte. Was hatte das zu bedeuten? Welche Schlüsse musste er daraus ziehen?
Die Staatsanwältin wäre entsetzt gewesen, wenn sie beobachtet hätte, wie lange es dauerte, bis Erik begriff, was Dr. Hillmots Befund bedeutete. Dann aber war endlich alles klar, er sprang auf und schrie: »Sören!«
Sekunden später stand sein Assistent im Raum, zu Tode erschrocken, mit weit aufgerissenen Augen. »Um Himmels willen, Chef! Was ist passiert?«
Erik zeigte mit zitterndem Finger auf den Absatz, den er gelesen hatte. »Sehen Sie sich das an!«
Sören las, brachte aber nicht mehr als ein Kopfschütteln zustande. Er begriff nicht, was Erik meinte. Und noch weniger verstand er, als sein Chef sagte: »Wir brauchen eine Handyortung! Kümmern Sie sich darum. Ich muss wissen, wo Corinna ist. Den Rest erzähle ich Ihnen unterwegs.«
M amma Carlotta war zum Strandübergang zwischen dem Kliffkieker und dem alten Gosch gegangen. Schon von Weitem erkannte sie, dass sie dort nicht allein sein würde. Viele Neugierige hatten sich versammelt, um aus sicherer Höhe das Schauspiel zu betrachten, das das Meer ihnen bot. Nur wenige hielten sich in der Nähe der Treppe auf, wo der Sturm nach jedem griff, der so leichtsinnig war, sich nicht festzuhalten. Aber die meisten standen in sicherer Entfernung und hielten sich selbst und ihre Mützen und Kapuzen fest.
Mamma Carlotta war erschüttert, als sie feststellte, dass der Strand vom Meer
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