Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
wir gehen über die Baustelle, dann sind wir im Nu bei ihr.«
Erik stieg aus und steckte seinen Kopf noch einmal in den Wagen. »Du wartest hier, okay?«
Niccolò nickte zögernd. »Wie lange?«
»Bis wir zurück sind.«
Erik warf die Beifahrertür zu und folgte Sören, der bereits versuchte, über die Baustelle zum Strand zu gelangen. Aber er erkannte schnell, dass ihnen dieser Weg versperrt war. »Wir müssen am Kurzentrum vorbei.«
Sie liefen die Straße hoch, bis sie an dem brachliegenden Grundstück angekommen waren, wo das alte Kurhaus gestanden hatte. Dort wurden sie vom Sturm gepackt, das Vorankommen wurde mühsam, als sie direkt aufs Meer zugingen und die Böen von vorne kamen.
Die Schaulustigen, die an den Stehtischen von Gosch standen, das Wüten des Meeres betrachteten und sein Auslaufen bis an die Dünen diskutierten, wichen ungläubig zurück, als sie von Erik und Sören zur Seite geschoben wurden. »Da können Sie nicht runter!«, rief jemand.
An der ersten Biegung der Treppe blieb Erik stehen. »Am Strand kommen wir nicht voran. Wir müssten durch die Dünen. Aber …«
Sören wusste, was nun kommen würde. Der Dünenschutz, der Inselschutz, die leichtfertigen Touristen, die sich viel zu oft darüber hinwegsetzten … »Das ist eine Ausnahmesituation«, rief er über die Schulter zurück. »Nach diesem Sturm müssen die Dünenanpflanzungen sowieso zum Teil erneuert werden.«
Sören lief weiter die Treppe hinab, und als er auf der letzten Stufe angekommen war, entschloss sich Erik, ihm zu folgen. Dass die unteren Stufen schon ein paarmal von der Brandung überrollt worden waren, konnte man sehen, im Moment aber kam keiner der Brecher so weit. »Haben wir ablandiges Wasser?«, erkundigte er sich.
Sören musste gegen den Sturm anschreien, um sich verständlich zu machen. »Nein! Hochwasser ist noch nicht erreicht! In einer halben Stunde etwa! Wir müssen uns beeilen!«
Links und rechts von ihnen dehnten sich die Dünen, der Strand war Teil des Meeres geworden. Auch der Fuß der Dünen würde immer wieder von den Brechern erreicht. Erik tat es regelrecht weh, in die Dünen zu steigen, statt an ihrem Fuß entlangzulaufen. Schon als kleiner Junge hatte er gelernt, dass die Dünen niemals betreten werden durften, dass Dünenschutz Inselschutz bedeutete. Doch zum Glück gab es einen schmalen Saum unterhalb der Dünenbepflanzung, auf dem sie wenigstens dann laufen konnten, wenn das Meer sich zurückzog. Die Brecher trieben ihnen zwar gelegentlich Wasser über die Schuhe, aber das war nicht weiter schlimm. Sie mussten vorankommen. Weiter, weiter! Sie mussten Schlimmeres verhüten. Aber Erik wäre es wohler gewesen, wenn er gewusst hätte, was genau er eigentlich verhindern musste. Nach wie vor durchschaute er nicht, was auf ihn zukommen würde.
M amma Carlotta wagte sich eine weitere Sprosse nach oben. Die beiden Frauen hatten nur einander im Sinn, fixierten sich, ließen die Gefahr, die von der jeweils anderen ausging, nicht aus dem Blick.
Noch eine Sprosse! Nun erschrak Mamma Carlotta vor der Sicht auf das Meer. Die Etage, die sie sich emporbewegt hatte, war auf der Meerseite dreimal so hoch. Der neue Gosch sollte sich zum Strand hin öffnen, gleich einer Welle, die auf dem Parkplatz ihren Anfang nahm und sich dann der wirklichen Brandung hoch entgegenbäumte.
Das Brett, auf dem Wiebke noch immer in drohender Haltung stand, die Latte mit den furchterregenden spitzen Nägeln erhoben, bewegte sich unter jeder Sturmbö. Der Absatz ihrer Cowboystiefel war nur Zentimeter von der äußeren Kante des Brettes entfernt. Sie hielt ihre Waffe mit beiden Händen. Sollte sie unter einem besonders heftigen Windstoß den Halt verlieren, würde sie tief fallen. Sehr, sehr tief.
Corinna Matteuer befand sich in besserer Position. Sie hatte sich bis an einen der Stahlpfosten zurückgezogen, an den sie sich klammerte. Aber sie war unbewaffnet. Einem Angriff von Wiebke konnte sie nicht ausweichen, ohne Gefahr zu laufen, vom Gerüst zu stürzen. Nicht einmal abwehren würde sie ihn können.
»Was haben Sie in Matildas Schreibtisch gesucht?«, hörte Mamma Carlotta Corinna fragen. »Sie waren es, die ihn durchwühlt hat! Geben Sie es zu!«
»Die beiden Anstecknadeln fehlten«, antwortete Wiebke. »Ich wusste von ihnen, und bei Klaus habe ich sie nicht gefunden.«
Corinna verlor für Augenblicke die Beherrschung. »Was haben Sie mit Klaus zu schaffen?«, schrie sie. »Woher kennen Sie meinen Mann?«
Wiebke hob die
Weitere Kostenlose Bücher