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Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Kurschatten: Ein Sylt-Krimi

Titel: Kurschatten: Ein Sylt-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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dass sie schließlich vor dem italienischen Restaurant stehen blieb, um kurz zu verschnaufen. Weil es schön war, Teil der Natur zu sein, auch wenn sie sich wie ein Gegner gebärdete, und auch ein wenig, um der Natur zu trotzen, hielt sie dem Sturm ihr Gesicht hin. Er fuhr ihr in die Augen, zerrte an ihrer Kapuze, blies ihre Jacke auf und brachte sie ins Schwanken, sodass sie sich am Geländer der Treppe festhalten musste, die in das italienische Restaurant hinabführte. Sie kniff die Augen zusammen, blinzelte und bemerkte dann, dass sich auf der Baustelle gegenüber etwas bewegte. Der Polier? War er noch damit beschäftigt, seine Baustelle zu sichern, damit Leute wie der Versicherungsexperte von eben ihm nichts anhaben konnten? Aber dann erblickte Mamma Carlotta etwas, das sie dermaßen verblüffte, dass sie den Sturm vergaß und beinahe rücklings die Treppe hinabgeblasen worden wäre …

V etterich betrat Eriks Büro und sah verwundert von einem zum andern. Die Anspannung im Raum war mit Händen zu greifen.
    »Ist was?«, fragte Erik, noch ehe Vetterich sich erkundigen konnte, ob etwa schon wieder ein Mord passiert sei.
    Der Chef der KTU war immer froh, wenn er sich auf seine Arbeit zurückziehen konnte und nicht nach rechts und links blicken musste, wo es etwas anderes gab als Untersuchungsergebnisse und unumstößliche Fakten. »Mir ist was aufgefallen«, begann er umständlich und hockte sich auf Eriks Schreibtischkante. »Sie sagen, Tove Griess bestreitet alles, was ihm vorgeworfen wird?«
    Erik nickte. Am liebsten hätte er Vetterich gesagt, Tove Griess interessiere ihn zurzeit kein bisschen, aber dann ließ er den Spurensicherer reden, schob schon mal sein Handy in die Hosentasche, band sich die Schnürsenkel seiner Schuhe fester, holte die Jacke vom Garderobenhaken und hängte sie über die Stuhllehne. So würde alles ganz schnell gehen, sobald Engdahl mit der Handyortung fertig war.
    »Griess ist ein großer, schwerer Kerl«, machte Vetterich weiter. »Neunzig Kilo mindestens!« Er sah sich um und wartete darauf, dass eine Ahnung in Eriks und Sörens Gesichter stieg. Aber er wurde enttäuscht. »Wer den Schuhabdruck hinter dem Squashcenter hinterlassen hat, wog aber höchstens sechzig Kilo. Das ist an der Tiefe der Spuren einwandfrei zu erkennen.«
    Erik nickte. »Gute Arbeit, Vetterich«, sagte er ohne die Begeisterung, die auch ein Friese gelegentlich erleben möchte.
    Vetterich war enttäuscht. »Sie wissen schon, dass er unschuldig ist?«
    Sören nickte. »Tove Griess war es nicht. Da wollte ihm jemand einen Mord in die Schuhe schieben.«
    »In die Schuhe! Genau!«, bestätigte Vetterich.
    »Wenn wir zurückkommen«, ergänzte Erik, »werden wir ihn nach Hause schicken. Den Haftbefehl, den die Staatsanwältin bald schickt, können wir zerreißen.«
    Nun sprang die Tür auf, Rudi Engdahl erschien. »Die Baustelle des neuen Gosch!«, stieß er hervor.
    Erik sprang auf, packte seine Jacke und lief hinaus.

M amma Carlotta starrte noch immer zur Baustelle. Dann bewegte sie sich über die Straße, ohne nach rechts und links zu blicken, ohne darauf zu achten, ob sich ein Auto näherte. Langsam ging sie über den Parkplatz auf die Baustelle zu, angestrengt blickte sie nach oben. War da eine Bewegung? Schon wollte sie sich abwenden, da sah sie es wieder. In einer winzigen Lücke, die der Sturm ihr ließ, hörte sie sogar ein Geräusch. Klappernde Planken, ein Scheppern, ein Rasseln. Dann Stimmen! Wütende Stimmen, ein Schrei! Dann wieder nur der Sturm …
    Sie wusste, dass das Betreten von Baustellen verboten war, erst recht bei diesem Wetter. Aber die Stimmen waren ihr bekannt vorgekommen. Vor allem eine! Da sollte sie weitergehen, ohne nach dem Rechten zu sehen? Unmöglich! Geduckt lief sie los, blieb immer wieder stehen und sah sich um. Doch sosehr sie sich bemühte, sie sah niemanden. Das bedeutete hoffentlich, dass auch sie nicht gesehen wurde. Zum Glück kam es dank des Sturms nicht darauf an, leise zu sein, sie konnte über die schwankenden Planken in die untere Etage hineinlaufen, ohne dass ihre Schritte eine Etage höher zu hören waren. Der Sturm rüttelte an jeder Leiter, jedem Betonfass, jedem Stahlständer, Schritte waren nicht von anderen Geräuschen zu unterscheiden.
    Sie blieb stehen, sah sich zwischen den Stahlträgern um, die die Deckenkonstruktion stützten, roch den Mörtel und die Feuchtigkeit, fühlte sich mit einem Mal einsam wie ein Kind, das sich nicht allein in den Keller traut. Nun

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