Kurschatten: Ein Sylt-Krimi
war, saß ein junger Mann und blickte Mamma Carlotta freundlich entgegen, im Hintergrund hatten sich zwei Frauen über einen großen Plan gebeugt und nur kurz aufgesehen. Nun setzten sie ihr Gespräch leise fort, wobei die eine mit energischen Bewegungen über das Papier fuhr, während die andere zu allem, was ihr erklärt wurde, schweigend nickte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der junge Mann, der sich als Dennis Happe vorstellte, höflich. Einem kleinen Schild, das auf seinem Schreibtisch stand, war zu entnehmen, dass er als Architekt für Matteuer-Immobilien tätig war.
Mamma Carlotta zog den Brief hervor, den Niccolò ihr mitgegeben hatte. »Es geht um meinen Neffen«, begann sie.
Dennis Happe nahm den Brief entgegen, überflog ihn und lächelte. »Aha! Aus bella Italia!«
Möglich, dass er diesen Ausruf ein paar Minuten später bereute. Mamma Carlotta vergaß prompt ihre Eile, erzählte dem jungen Architekten, dass sie aus Umbrien stammte, aus einem Bergdorf, das so abseits gelegen war, dass sich nur selten ein Tourist dorthin verirrte, und ließ sogar die Empfehlung folgen, dass Dennis Happe unbedingt Panidomino aufsuchen müsste, sollte es ihn jemals in die Gegend von Città di Castello verschlagen.
Der junge Mann versprach es lächelnd und wollte nun auf den Inhalt des Briefes eingehen, doch da hatte er die Rechnung ohne Carlotta Capella gemacht. Bevor er auch nur den Mund öffnen konnte, bekam er zu hören, dass Mamma Carlottas Tochter Lucia einem Sylter auf seine kalte Insel gefolgt war, wo sie gegen alle Erwartung sogar glücklich geworden war, was in Panidomino niemand für möglich gehalten hatte. Dennis Happe wurde sichtbar nervös, dennoch musste er sich anhören, dass Mamma Carlotta la famiglia über alles ging, dass sie aber dennoch erst nach dem Tod ihrer Tochter der Insel Sylt einen Besuch abgestattet hatte. »Mein Mann – Gott hab ihn selig – war lange krank. Bettlägerig! Pflegebedürftig! Und er wollte niemanden außer seiner Ehefrau an seinem Bett haben. So musste ich meine Lucia ziehen lassen, ohne zu wissen, was sie hier erwartete.«
Dennis Happe verbarg seine Nervosität, so gut er konnte, und legte eine angemessene Betroffenheit an den Tag. Das ermunterte Mamma Carlotta zu weiteren Erzählungen. Der junge Mann erfuhr, dass sie am Telefon Deutsch gelernt hatte, indem sie mit ihrer Tochter Deutsch gesprochen hatte und schließlich von ihrer Enkelin Carolin – ebenfalls telefonisch – in der deutschen Sprache regelrecht unterrichtet worden war. »Damals wollte Carolina noch Lehrerin werden! An mir hat sie ihr pädagogisches Talent ausprobiert.« Dann hatte ein Nachbar der Capellas eine Deutsche geheiratet, die sich gerne in ihrer Muttersprache unterhielt und … »Ecco! Von da an wurde es immer besser mit parlare in tedesco.«
Das bestätigte Dennis Happe gerne und fand, dass es nun mit seiner Höflichkeit ein Ende haben und er auf den Grund von Mamma Carlottas Besuch zu sprechen kommen durfte. Zwar hatte sie ihm noch erzählen wollen, dass sie die Schwiegermutter eines Commissario war, aber gerade rechtzeitig fiel ihr ein, dass es besser war, darüber zu schweigen. Auch Erik sollte nicht wissen, warum sie hier war.
»Ihr Neffe hat also Interesse daran, in unserem Gesundheitshaus das Bistro zu übernehmen?«
»Sì, sì!« Mamma Carlotta fiel plötzlich auf, dass es vor den Fenstern bereits dämmrig wurde. Der Abend war nicht mehr weit, sie musste sehen, dass sie Niccolòs Auftrag erledigte, damit sie noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder im Süder Wung ankam.
»Niccolò ist ein so guter Junge! Aber leider … er hat sich für die falsche Frau entschieden. Seine Pizzeria in Assisi ging gut, aber dann wollte seine Frau sich plötzlich scheiden lassen, weil er angeblich zu wenig Zeit für sie hatte. Madonna! Soll ein selbstständiger Gastronom sein Restaurant im Stich lassen, um seine Frau zu unterhalten? Impossibile! Doch Susanna wollte es nicht einsehen, und so trennte sie sich von ihm. Aber das war noch nicht alles! Sie wollte Geld von Niccolò! Die Hälfte der Pizzeria! Dabei hat sie nie dort gearbeitet. Un’impertinenza! Allora … Niccolò musste den Laden verkaufen, damit er seine Frau auszahlen konnte, und Susanna ist bei einem Mann eingezogen, der vier Restaurants in Assisi besitzt. Ist es da ein Wunder, dass Niccolò nicht mehr in Umbrien bleiben will? Und als er davon hörte, dass es hier ein Bistro zu mieten gibt, hat er mich gebeten, mir die Sache
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