Kurschattenerbe
keinen Grund mehr zu liefern, ihn ›wegen gesundheitlicher Probleme‹ – oder wie immer sie es beschönigen mochte – auf einen Schreibtischposten zu versetzen.
Seiner Chefin war er von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Das wusste er. Höhere Polizeigrade waren in Südtirol nach wie vor mehrheitlich der italienischen Sprachgruppe vorbehalten. Dennoch hatte er es zum Kommissar gebracht. Die hohe Beamtin schien darüber nicht erfreut zu sein. Dass er sich in der Gegend besser auskannte als Franca Bertagnoll, hatte das Verhältnis zwischen ihnen beiden nicht entspannt.
Ein Grund, ihn abzuschieben, käme ihr mit Sicherheit gelegen. In dem Fall könnte sie ungehindert ihren Liebling, den Comploi, protegieren.
»So einfach wird sie mich nicht los«, murmelte Klotz und schlug den ›Meraner‹ auf, den der Kellner gerade vor ihn hingelegt hatte. Gleichgültig blätterte er die Gazette durch, bis sein Blick an der Kulturseite hängen blieb, die zur Gänze dem Symposium über Oswald von Wolkenstein gewidmet war. Plötzlich erhellte ein Grinsen Aldos bisher recht mürrische Gesichtszüge.
»Renzo«, rief er dem Barmann zu, »un doppio, per favore.«
*
Ein zweites Mal innerhalb von zwölf Stunden betrat Jenny das Nobelhotel, in dem Kateryna und ihre Entourage residierten. Kaum hatte sie die Drehtür passiert, wurde sie sich schlagartig ihrer für einen solchen Luxusschuppen recht deplatzierten Kleidung bewusst.
Sie hatte ihr karges Frühstück in einer kurzen roten Short und einer weißen Bluse eingenommen, die sie locker in der Taille geknotet hatte, sodass leicht gebräunte Haut zu sehen war. In Gedanken immer noch mit Viola und Lenz beschäftigt, hatte sie ganz darauf vergessen, sich – wie sie es eigentlich vorgehabt hatte – umzuziehen. Sie war lediglich in ein Paar Leinenslipper geschlüpft und losmarschiert. Im Spiegel der Lobby sah sich nun ihrer dem eleganten Rahmen nicht adäquaten Erscheinung gegenüber. Wenigstens hatte sie ihre schicke Handtasche dabei. Die machte den Freizeitlook einigermaßen wett und verlieh ihr einen gewissen geschäftsmäßigen Anstrich.
Zumindest hatte sie daran gedacht, Kateryna anzurufen, bevor sie sich auf den Weg gemacht hatte, und zu fragen, ob ihre Auftraggeberin Zeit für sie hätte. Die hatte sofort eingewilligt. »Kommen Sie nur. Ich freue mich darauf, mit Ihnen zu plaudern.«
Jenny konnte nur hoffen, dass die Freude anhielt, wenn sie ihr das Medaillon gab und berichtete, wie es in ihre Hände gelangt war. Sie straffte die Schultern und ging zur Rezeption. Gerade wollte sie bitten, sie bei Frau Maximowa anzumelden, als Kateryna sich aus einem der Fauteuils erhob und auf sie zukam.
»Jenny, Sie sehen ja aus wie der junge Morgen«, begrüßte sie sie euphorisch und hauchte ihr Luftküsschen auf die Wangen. »Wollen Sie einen Kaffee trinken? Oder vielleicht frühstücken? Hier gibt es Plunder, die sind ganz köstlich. Die müssen sie probieren. Der Teig, ich sage es ihnen, er zergeht auf der Zunge …«
Während Kateryna bemüht war, Jenny das kulinarische Angebot des Hauses schmackhaft zu machen, plagte diese immer stärker das schlechte Gewissen. Sie wusste nicht, wie Kateryna die Umstände aufnehmen würde, unter denen sie in den Besitz des Medaillons gekommen war. Ganz zu schweigen von der merkwürdigen Verbindung zu dem Bild, das angeblich beim Mordopfer verschwunden war.
»Kommen Sie. Wir gehen ins Restaurant und suchen uns etwas Schönes aus.« Kateryna hatte Jennys Ellbogen ergriffen und wollte sie sacht in Richtung des Speisesaales dirigieren. Jenny zögerte jedoch. Kateryna unter den Augen zahlreicher Frühstücksgäste das Medaillon zu übergeben, war das Letzte, wonach Jenny der Sinn stand.
Um der Ukrainerin in ihrem Eifer, sie zu bewirten, Einhalt zu gebieten, blieb Jenny einfach stehen. »Kateryna«, sagte sie, »ich muss etwas Vertrauliches mit ihnen besprechen. Der Speisesaal scheint mir dafür nicht der geeignete Ort.«
Kateryna ließ Jennys Ellbogen los. Ein Schatten huschte über das Gesicht der Ukrainerin. Das Nervengift, das sie sich vermutlich regelmäßig injizieren ließ, schien eine ausdrucksstärkere Reaktion nicht zuzulassen.
Im nächsten Moment hatte Kateryna sich wieder im Griff. »Etwas Vertrauliches, natürlich. Das haben Sie ja am Telefon gesagt. Wie konnte ich das vergessen?«, schalt sie sich. »Kommen Sie.« Damit führte sie Jenny in eines der ebenerdig gelegenen Büros, das Kateryna offenbar für die Dauer ihres
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