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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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Aufenthalts gemietet hatte. Dort steuerte sie auf eine Sitzecke im Biedermeierstil zu und bedeutete Jenny, in einem Armsessel Platz zu nehmen.
    Jenny folgte der Aufforderung, öffnete ihre Handtasche und fischte das Medaillon heraus. Ehe sie es Kateryna über den Tisch reichen konnte, hatte diese es erkannt.
    »Mein Medaillon. Ich vermisse es seit gestern. Ich dachte, vielleicht ein Missgeschick der Hausdame. Wo haben Sie es gefunden? Wie kommt es denn in Ihre Hände? Nein«, unterbrach sie sich, »ich bin ja so unhöflich. Anstatt Ihnen zu danken, löchere ich Sie mit Fragen.« Spontan ergriff sie Jennys Hand. »Verzeihen Sie mir. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll …« Endlich machte Kateryna eine Pause, die Jenny sogleich nutzte. »Ich habe Sascha gestern in der Gilf gesehen. Sie hat etwas gesucht und ich habe sie angesprochen. Anstatt mir zu antworten, ist sie davongeradelt.« Jenny hielt kurz inne und wartete auf eine Reaktion. Die kam nicht und sie fuhr fort. »Herr Hofer hat dieses Schmuckstück gefunden. Ich habe es gleich wiedererkannt.«
    Unter ihrer Schminke war Kateryna blass geworden. Irgendetwas hatte die Frau so aus der Fassung gebracht, dass es ihr plötzlich die Sprache verschlug. War es die Empörung darüber, dass Jenny das Medaillon nicht sofort zurückgegeben hatte?
    »Ich war gestern Abend hier, habe Sie aber nicht angetroffen. Ich dachte, es ist besser, wenn ich Ihnen die Kette persönlich übergebe. Immerhin handelt es sich um ein Erbstück von Ihrer Urgroßmutter. Da wird es Ihnen ganz besonders am Herzen liegen. Außerdem ist da noch etwas …«
    Kateryna öffnete die für Jennys Geschmack ein wenig zu vollen Lippen, schloss sie wieder und starrte auf das Medaillon.
    Jenny konnte sich diese Reaktion nicht erklären. Ob sie das Medaillon besser gestern abgegeben hätte? Machten die paar Stunden solch einen Unterschied? Nüchtern betrachtet musste Kateryna froh sein, dass sie den Schmuck wiederhatte. So kam Jenny nicht weiter. Es widerstrebte ihr zwar, die Sponsorin, die ihr Honorar bezahlte, gegen sich aufzubringen. Andererseits musste sie endlich zur Sache kommen. Es ging ja nicht bloß um den Schmuck, es ging um Mord, vielleicht auch Entführung.
    »Kateryna, bitte erlauben Sie mir, dass ich offen mit Ihnen rede. Ich habe mir die Miniatur angesehen, die sich in dem Medaillon befindet. Sie sind Germanistin …« – Jenny hielt es für opportun, an die Fachkompetenz der Frau zu appellieren. »Sie wissen, dass darauf ein Motiv aus Oswalds Liedern dargestellt ist. Vermutlich sogar der Dichter selbst.«
    »Das Bild, der Schmuck, Sascha …«
    Gebetsmühlenartig murmelte Kateryna ihre Litanei vor sich hin. »Kateryna«, Jenny ergriff die Hand der Frau, die wie in Trance wirkte, »bitte hören Sie mir zu: Ich habe Sascha beobachtet, wie sie beim Konzert das Motiv auf ein Blatt Papier gemalt hat. Am nächsten Tag hat ein anderes Mädchen ein ganz ähnliches Bild gezeichnet und mir gezeigt.«
    Kateryna, die bisher auf das Medaillon gestarrt hatte, blickte auf. Die Überraschung stand ihr förmlich in die großen, blauen Augen geschrieben.
    »Mädchen … Wer … Welches Mädchen …«, stammelte sie.
    »Das Mädchen heißt Kristl und ist die Tochter von Martha Tappeiner. Die beiden haben auf der Burg mit Ihnen für das Foto posiert.«
    Kateryna öffnete wieder den Mund. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, fuhr Jenny fort. »Die Frau, die am Abend das Buffet ausgerichtet hat, war die Haushälterin eines Malers aus St. Michaela. Er ist vor ein paar Tagen ermordet worden. In seinem Atelier befand sich …«
    Katerynas Lippen begannen zu zittern. Im nächsten Moment schlug sie die Hände vor die Augen.
    Plötzlich vermeinte Jenny, ein Déjà-vu zu haben. Sie erinnerte sich:   Martha Tappeiner hatte ganz ähnlich reagiert, als Jenny sie auf das Bild angesprochen hatte. Brachte sie hier die Frauen reihenweise an den Rand des Nervenzusammenbruchs?
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    1 Italienisch für Croissant (Hörnchen, Butterkipferl)

ZWÖLF
    Nach Redaktionsschluss
    Während die Polizei im Mordfall Peter Mitterer weiterhin im Dunkeln tappt, hat der   Meraner   gestern eine brisante neue Entdeckung gemacht: Laut einer Zeugin wurde aus dem Atelier des Ermordeten ein Bild gestohlen. Es zeigt einen Mann, der an ein Weinfass geklammert auf dem Meer schwimmt. Eine Mittelalterexpertin, die nicht genannt werden will, hat dem   Meraner   dazu exklusiv erklärt, dass es sich um eine zerstört geglaubte Darstellung

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