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Kurschattenerbe

Kurschattenerbe

Titel: Kurschattenerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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des Minnesängers Oswald von Wolkenstein handelt. Wenn sich diese Einschätzung bewahrheitet, steht Südtirol vor einer Sensation. Der   Meraner   wird seine Leser auf dem Laufenden halten.
    Der Meraner, 1. Juni 2011
    Franca Bertagnoll knallte die Zeitung auf ihren Schreibtisch. »Was haben Sie mir dazu zu sagen?«, fuhr sie Aldo Klotz an, der sich über die Titelseite beugte. Von einem Moment auf den anderen war sein süffisantes Grinsen, das er zuvor gezeigt hatte, verschwunden.
    Wenigstens das hatte sie geschafft. Das Triumphgefühl, das Franca dabei empfand, war allerdings nur von kurzer Dauer. Wenn das stimmte, was heute in der Zeitung stand, konnte sie das den Kopf kosten. Der von Klotz war dagegen nur rot angelaufen.
    »Vizequästorin, ich verstehe nicht …«
    »Was gibt es da nicht zu verstehen? Irgendein hergelaufener Schreiberling hat offenbar bessere Informationen als die Polizei.«
    »Der verfluchte Pircher. Den kauf ich mir.« Klotz ballte seine Hand zur Faust.
    »Sie werden nichts dergleichen tun«, blaffte Franca und betrachtete die Meldung. Jemand musste sie gestern Abend kurz vor Andruck ins Blatt gestellt haben. Ein Kürzel oder irgendein anderer Hinweis auf die Identität des Urhebers fehlten. Woher wusste Klotz …
    »Entschuldigen Sie, Vizequästorin«, sagte der Kommissar, »das hat sicher der Chefreporter, der Beppo Pircher, geschrieben. Irgendwie hängt der in der Sache drin.« Wie um seine Behauptung zu untermauern, fing Klotz an, im ›Meraner‹ zu blättern.
    »Was hat das nun wieder zu bedeuten?«, schoss es Franca durch den Kopf. Sie hatten sich schließlich nicht zur morgendlichen Zeitungslektüre getroffen. Und wie Klotz wieder aussah! Sogar ein Hemdknopf war ihm aufgeplatzt. Das machte nun wirklich keinen guten Eindruck.
    »Da, bitte schön.« Mit seiner fleischigen Hand hieb der Kommissar auf eine Seite im hinteren Teil des Blattes. Die Kulturrubrik? Das konnte Klotz doch nicht ernst meinen.
    Franca verkniff sich eine heftige Bemerkung und las die Schlagzeile, mit der die Seite aufgemacht wurde: ›Freudenklänge   in wilder Aufholjagd‹, lautete sie. Darunter war ein Bild der im Titel genannten Gruppe. Franca erinnerte sich: Das war der Abend auf Schloss Tirol, mit dem das Symposium eröffnet worden war. Rasch überflog sie ein paar Zeilen des Aufmachers:
    Die ›Freudenklänge‹ sind eine der hoffnungsvollsten Nachwuchsgruppen für Alte Musik. Bei dem Konzert am Montag auf Schloss Tirol beherrschte die Zuhörer aber über weite Strecken nur eine Hoffnung: diejenige, dass der Spuk bald eine Ende haben würde …
    Obwohl ihr im Moment das Wasser bis zum Halse stand, konnte sich Franca ein Lächeln nicht verkneifen. Der Verfasser dieser Zeilen traute sich was. Recht hatte er obendrein. Denn selbst mit ihrem ungeschulten Gehör hatte sie an dem Abend den Eindruck gewonnen, dass mit der Darbietung etwas nicht stimmte. Bei Gelegenheit würde sie den Artikel mit Genuss zu Ende lesen. Im Moment hatte sie Wichtigeres zu tun.
    Franca wollte die Zeitung zuschlagen und zu Klotz hinüberschieben. Ihr Blick fiel auf ein weiteres Foto auf der Seite: Das war ja sie. Richtig, sie hatte sich breitschlagen lassen, mit den beiden Professoren und der Ukrainerin zu posieren.
    »Unangenehme Sache«, sagte Klotz.
    Franca fuhr hoch. Der Kommissar stand vor ihrem Schreibtisch und blickte auf die aufgeschlagene Zeitung.
    »Was hat der Artikel …« Ehe Franca zu Ende sprechen konnte, unterbrach Klotz sie: »Die Vizequästorin auf einem Foto mit der wichtigsten Zeugin in einem Mordfall. Da werden Sie wohl ein paar Leuten etwas erklären müssen.« Der selbstzufriedene Ausdruck, mit dem Klotz ihr Büro betreten hatte, war auf seine Miene zurückgekehrt.
    Zeugin in einem Mordfall? Kateryna Maximowa hatte doch nichts mit dem Mord zu tun. Ihre Tochter mit Sicherheit auch nicht. Hatte Klotz etwa schon am frühen Morgen einen über den Durst getrunken? Wenn das der Fall war, war der Mann tatsächlich nicht mehr tragbar.
    »Kommissar«, sagte sie, »was wollen Sie damit andeuten?«
    Klotz kratzte sich am Kinn. Franca bemerkte das Pflaster. Der Mann war wirklich eine optische Kata­strophe. Blieb nur zu hoffen, dass er wenigstens geistig einigermaßen fit war. Momentan konnte sie diesen Eindruck allerdings nicht gewinnen.
    »Es macht halt keinen guten Eindruck, wenn die oberste Polizeichefin zusammen mit einer Zeugin in einem Mordfall gesehen wird – einer verdächtigen Zeugin, um genau zu sein.«
    Franca

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