Kurt Ostbahn - Blutrausch
durch eine meiner unendlichen Geschichten zu gefährden. Der Herr Josef hat ja schon des öfteren mit ansehen müssen, wie ich, von einigen Achteln beseelt, ganz außerordentlich reizende Damen durch meine Eloquenz in den Zustand bleierner Müdigkeit geredet habe. Sie wollten dann nur noch ein Taxi und rasch allein nach Haus ins Bett.
„Salut“, sagt Marlene.
„Prost“, sage ich. „Worauf trinken wir?“
„Auf die Gunst der Stunde. Heißt das so?“ sagt sie, und ihr Blick sagt, daß es an der Zeit wäre, den Schauplatz zu wechseln.
Ich überlege fieberhaft, wie ich sie davon überzeugen kann, daß ein Drink an der Hotelbar des Palace die vorläufige Krönung dieses bezaubernden Abends wäre. Aber Marlene hat andere Pläne.
„Ich lasse den Wagen hier. Und dann zeigst du mir, wie du lebst“, sagt sie und lächelt. „Ich möchte das wissen, Kurt.“
Ich bin zwar nicht auf Damenbesuch eingerichtet, aber jetzt gibt es kein Zurück.
Als wir das Rallye verlassen, ist es halb drei. Die Sechshauser Straße ist menschenleer. Marlene atmet kräftig durch. Dann hakt sie sich bei mir unter. Wir gehen los. Der Regen hat das Blut des Auer Wickerl weggewaschen.
Aber das ist jetzt kein Thema.
10
Nach einem kurzen Inspektionsgang durch das Vinylmuseum mit Schlaf- und Waschgelegenheit, für das ich dem Trainer symbolische fünf Kilo Untermiete im Monat bezahle, hat Marlene Lust auf Musik.
Ich soll spielen, was ich jetzt gern hören möchte. Und sie ist sicher, daß sie es auch mögen wird.
Das Problem ist nur, daß der CD-Player des Ghettoblasters defekt ist, seit ihn Mario Adrettis kleine Tochter bei ihrem letzten Besuch mit einer Packung“Fruchtzwerge“ gefüttert hat. Und den Plattenspieler, das ausrangierte Modell des Trainers, habe ich noch nicht an die Stereoanlage angeschlossen, obwohl er mir jetzt schon bald ein Jahr im Weg steht. Bleibt also nur das Cassettendeck. Und das reduziert das Musikangebot auf jene drei Cassetten, die meinen musikalischen Diät-Speiseplan ausmachen.
Band 1 enthält ein halbes Dutzend skelettöser Demoaufnahmen von neuen Nummern, die seit längerem vergeblich auf zündende Arrangement-Ideen warten. Band 2 ist ein Geschenk vom „King“: 24 Versionen des „ Stormy Monday Blues“, von T-Bone Walker bis Gary Moore.
Ich entscheide mich leichten Herzens für die dritte und letzte Möglichkeit: eine 90-minütige Zusammenstellung von Willie Nelsons traurigsten Liedern aus dem ewigen Westen, die der Trainer extra für mich angefertigt hat, als ihn eines nachts Melancholie, Schwermut und zu viel Jack Daniels nicht zur Ruhe kommen ließen.
Marlene liebt Willie Nelson.
Und ich hasse den Trainer, als er ausgerechnet bei“She’s not for you“ das zirka hundertste Mal anruft, und Marlene, schon etwas entnervt, von mir abrückt und meint, ich sollte diesem Telefonterror vielleicht doch ein Ende machen, indem ich einfach rangehe und meinen Trainer zur Hölle schicke. „Oder soll ich das für dich erledigen?“ sagt Marlene und streift den Rock ihres rubinroten Kostüms wieder glatt.
„Trainer!“ schnaube ich in den Hörer. „Bist gstört, oder was?“
Weiter komme ich nicht. Der Trainer erteilt mir mit hysterischer Stimme den Marschbefehl. „Setz dich ins nächste Taxi und komm her! Sofort!“
„Ich kenn die Whitney Houston“, sage ich.
„Whitney Houston!“ kreischt der Trainer.
Im Hintergrund höre ich Doktor Trash’s bitterböses Lachen.
„Außerdem hab ich Besuch“, sage ich.
„Scheiß auf den Besuch. Schick ihn heim und komm her. Kirchengasse 83. Und mach ein bißl gschwinder als heut zum Quell . Weil ewig warten wir nicht!“
„Der Besuch ist eine Sie. Und ich verlasse das Haus auch dann nicht, wenn die Tante Houston in dem Scheißvideo mit ihrem Pudel pudert“, zische ich, so leise es die in mir aufsteigende Rage zuläßt.
„Kurtl!“ höre ich den Trainer kreischen.
Dann lege ich auf, ziehe den Stecker aus der Dose und drehe - sicher ist sicher - Willie Nelson ein wenig lauter.
„Du hast ihn zur Hölle geschickt?“ lächelt Marlene.
Ich nicke und zaubere durch das Abschalten der Deckenbeleuchtung und Anknipsen der an einem der Regale festgeschraubten Schreibtischlampe sowas ähnliches wie lauschige Gemütlichkeit in das Plattenlager.
Ich muß was gegen die in mir nagende Wut und Unruhe unternehmen. Draußen in der Küche habe ich noch einen Rest Mezcal.
Marlene ist nicht abgeneigt. Also serviere ich zwei Gläser. Wir sitzen auf der Bettbank,
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