Kurt Ostbahn - Blutrausch
stoßen zum zweiten Mal in dieser Nacht auf die Gunst des Augenblicks an, aber meine Rage schwindet erst, als der Mezcal vernichtet ist und Marlene mit einer stürmischen Umarmung das nächste Kapitel unserer jungen Liebe eröffnet.
Ich weiß noch ganz genau, daß sie unter dem rubinroten Kostüm Unterwäsche aus rubinroter Spitze trug, und daß es uns bald einmal auf der schmalen Bettbank, die man zu einem Doppelbett ausklappen könnte, wenn man sich dafür mindestens zwei Stunden Zeit nimmt, zu eng wurde. Wir übersiedelten auf den Spannteppich, und aus dem anfangs sanften Ringen wurde ein wüster Marathon, dessen Finish (in der Küche) ich kaum noch wirklich mitkriegte. Zuletzt sah ich Marlene auf dem Rand des Waschbeckens sitzen, die Beine um meine Hüften geschlungen, dann schwanden mir die Sinne.
Ihr Duft von Zimt, Mandeln und tausend orientalischen Geheimnissen (einige davon durfte ich in den letzten Stunden lüften) erfüllt den Raum, als ich wieder zu mir komme. Ich liege nackt und frierend auf dem Fußboden vor der Bettbank, und Marlene liegt nicht neben mir.
Die Uhr sagt, es ist kurz vor neun.
Nach einer Standardnacht würde ich jetzt zwei bis drei Aspirin einwerfen und mich unverzüglich zurück ins Bett verfügen, in der Hoffnung, bald Besuch von Tamara zu bekommen.
Nach dieser Nacht der Sensationen aber bin ich sofort und schmerzfrei auf den Beinen, unter der Dusche und, eine Tasse köstlichen Löskaffee schlürfend, auf der Suche nach dem Telefon, um den besorgten Trainer anzurufen.
Der himmelblaue 57er-Chevy mit abnehmbarem Dach, den mir eine Gruppe von Kurtologen und Chefheads während des letzten Konzerts der“Liagn & Lochn“-Tournee auf offener Bühne überreicht hat, parkt auf dem Fensterbrett. Flankiert von einem Höschen aus rubinroter Spitze und einer auf lila Papier geschriebenen Botschaft.
„Ich rufe Dich an!“ steht da, dazu ein Satz in Französisch und ihr Name - Marlene.
Ich schaue eine Ewigkeit aus dem Fenster, in einer Hand die Tasse Löskaffee, in der anderen abwechselnd ihre Nachricht und ihr Höschen.
Draußen gibt es Raben, den grauen Novemberhimmel und einen Gemeindebau, dessen Bewohner ein nicht enden wollender Quell der Inspiration sind, oder besser: waren. Denn mit heutigem Tag werde ich nur noch Lieder über Marlene schreiben.
Allein dieser geflügelte Drache mit den fünf Köpfen, den sie in die Innenseite ihres linken Oberschenkels eintätowiert hat, ist mindestens ein Lied wert. Und der Drache ist nur eines der vielen Geheimnisse, die eine kanadische Kunst- und Antiquitätenhändlerin mit Spezialgebiet Standuhren des Jugendstils, Art Deco und Fin de Siecle unter einer ladyliken Oberfläche zu verbergen weiß.
Davon kann ich, wie man so sagt, seit letzter Nacht ein Lied singen.
Keine Ahnung, ob Songs zu diesem Thema irgendjemand interessieren, aber der Schrott, der mir in den letzten Wochen über das traurige Urlauberdasein des Rock’n’Roll-Musikanten eingefallen ist, ist nicht nur noch viel langweiliger, sondern entbehrt auch jeglicher Grundlage. Das wirkliche Leben sieht doch, wie die letzten beiden Tage bewiesen haben, ganz anders aus.
Voll Tatendrang und guten Mutes stecke ich das Kabel des 57er-Chevy wieder in die Steckdose und wähle die Nummer des Trainers.
Nicht der Anrufbeantworter, sondern seine Frau Katharina ist am Apparat.
„Ja“, sagt sie, keine Silbe mehr, und ich weiß, da ist was nicht in Ordnung.
„Morgen. Kurtl da. Is der Trainer schon aus den Federn?“
„Nein“, sagt Katharina. Dann ist Pause.
„Okay“, sage ich. „Dann ruf ich später wieder an.“
„Er ist nicht da“, sagt Katharina und legt Tonnen an Vorwürfen und Sorge in diese vier Worte.
„Wieso?“ sage ich.
„Wieso! Er hat sich gestern um fünf mit dir getroffen und ist immer noch nicht zurück!“
„Komisch“, sage ich.
„Was is daran komisch? Ich mach mir Sorgen, daß ihm was passiert ist. Sonst ruft er wenigstens an, wenn er mit dir irgendwo abstürzt.“
Ich gebe Katharina einen kurzen Überblick über die Ereignisse der vergangenen Nacht und schließe mit den beschwichtigenden Worten:
„Kennst ja den Trainer. Der wird mit dem Doc am Computer sitzen und deppert Iron Felix spielen, oder wie das heißt.“
„Helix. Iron Helix “, verbessert mich Katharina. „Aber dort ist er nicht. Ich hab schon zigmal angerufen, und niemand hebt ab.
„Sehr komisch“, sage ich.
Ihre Sorge um den Trainer ist ansteckend. Wenn ich mich recht erinnere, war er
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