Kurt Ostbahn - Blutrausch
erst am Sonntag abreisen, sondern noch die Nachtmaschine nach Paris nehmen will. Und der Gily hat mein Konzert versäumt. Scheiße.“
Und ich unseren langen Abschied. Scheiße.
„Warum wollte sie so plötzlich weg? Hat sie das öfter?“ frage ich.
„Keine Ahnung. Das Alter. Der Wechsel. Was weiß ich. Und der Gily weiß es auch nicht. Den hat die Blitzaktion natürlich gleich total deprimiert.“
Ich denke an meinen Zustand heute morgen und kann den sensiblen Knaben erstmals gut verstehen.
„Daß ich mir immer nur die Problemkinder eintrete“, meldet sich Elfi und schüttelt betrübt den Kopf.
Ich denke an meine Probleme, die klingende Namen tragen wie Marlene, Tamara, Lotte und Susi, schüttle auch den Kopf und kann Elfi gut verstehen.
„Es ist oft schwer“, seufze ich unter der Last der Erinnerung an viele bittere Erfahrungen, „aber da muß man durch. So ist das Leben. Hart aber ungerecht.“
Während ich der geknickten Elfi derart Trost und Rat spende, und sie mich einen tiefen Blick in ihr großes Herz werfen läßt, krault mir Donna - ich hoffe, Sie, geneigter Leser, anmutige Leserin, verzeihen mir den drastischen Vergleich - mit ihren langen falschen Fingernägeln den Sack.
„Der Gily schießt mich bei jedem Fick durch Sonne, Mond und Sterne. Wenn er das Talent von seiner Mama geerbt hat, dann hast du mit der Marlene ja ordentlich viel Spaß gehabt und vielleicht noch was dazugelernt, auf deine alten Tag. So wie ich vom Gily.“
Donna schenkt mir noch einen Canadian Club aus dem Hause Thompson ein. „Also ich könnt dir ein paar Sachen zeigen, Kurtl“, sagt sie.
„Glaub ich dir aufs Wort. Aber ich bin verlobt.“
„Auf Video, du Hirsch. Der Gily und ich haben die Video-8 bei den Proben für unsere AAS -Performance mitlaufen lassen. Hot Stuff, schwör ich dir. Und letzten Sommer, im Atelier vom Claude, das war nicht mehr normal ...“
„Und der Wickerl? War der auch so begeistert?“ frage ich, weil mir im Umgang mit Verbalerotikerinnen (wie unser Bassist und Sexualberater Horak diagnostizieren würde) die Praxis fehlt und ich nicht mehr wissen will, als ich auch verkraften kann.
„Wieso kommst mir jetzt mit dem Wickerl?“ murrt Donna.
„Weil der Gily noch am Leben ist, obwohl er sich schon seit zwei Jahren immer wieder den Holzpyjama anmessen laßt, der Wickerl aber wirklich tot ist“, sage ich.
„Scheiße“, sagt Donna. Leise.
„Und weil du nicht die Mutter Theresa bist“, rede ich mir, mit noch einem Canadian Club gedopt, einen alten Verdacht von der Seele:
„Das nimmt dir vielleicht der gamsige Skocik ab, während er über die Farb deiner Untergatte nachdenkt, aber sonst schon niemand auf der Welt, daß du den armen kleinen Auer-Buben aus reiner christlicher Nächstenliebe immer wieder aus dem Dreck gezogen hast. Keine Ahnung, was das war zwischen euch, aber einer Freundin, mit der ich in der Sandkiste gespielt hab, schreib ich keine verzweifelten Liebesbriefe. Und einer edlen, selbstlosen Spenderin von mindestens 30 Blatt will ich nicht eins auswischen, indem ich ihr per gefälschtem Lieferschein falsche Whitney-Houston-Platten und Raubkopien von ‘Gesichter des Todes, 7. Teil’ ins Haus schicke.“
„Was is los? Was für Raubkopien?“
Es gibt also was, mit dem man sogar Donna noch überraschen kann. Erstaunlich.
Also kriegt sie Wickerls grandiosen Coup in Kurzfassung um die Ohren, inklusive seine gescheiterte Rache auf Lieferschein.
„Typisch hirntot, typisch Wickerl“, ist Donnas einziger Kommentar.
Im Kiva kehrt Stille ein. Bestimmt nicht, weil schon alles gesagt ist.
„Irgendwie trägt man schon auch etwas von dem in sich, das man auf der Bühne darstellt“, meldet sich Elfi zu Wort.
Sie baut gerade den nächsten Joint. Und redet so langsam, als hätte ihr ein riesiger Kaugummi die grauen Zellen verpickt. „Schau dich an. Und denk an deinen Doppler auf der Bühne.“
„Falsch“, sage ich. „Der Doppler hat erstens schon vor Jahren einem viel nobleren Gebinde, nämlich dem Plastikbecher, Platz gemacht. Und zweitens war nie drinnen, was der Laie denkt, sondern Kamillentee.“ Das entspricht zwar nur zur Hälfte der Wahrheit. Aber mit Halbwahrheiten bin ich hier ja gerade richtig.
„Der Wickerl war kein Lover“, sagt Donna. „Der Wickerl war der Flocki. Wickerl, Platz! Wickerl, faß! Wickerl, kusch! Braver Hund. Böser Hund. Blöder Hund. Von mir hat er sich alles gefallen lassen. Immer schon. Ich war seine erste Frau. Sozusagen.“
In
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