Kurt Ostbahn - Kopfschuss
sich zuerst im Schneidersitz vor dem Fernseher auf den Boden, aber weil man sich auf den nackten Brettern den Hintern abfriert, kommt sie bald wieder zurück unter die Decke. Und dabei erzählt sie mir die Geschichte von Robert, dem Teufelsgeiger, und Doris, der Buchhändlerin, die sich irgendwann in den sechziger Jahren bei einem Konzert im Folkclub Atlantis kennen gelernt haben.
Der Teufelsgeiger hat sich in Doris verliebt und die Buchhändlerin in Robert. Die erste Zeit haben die beiden in seinem Kabinett in einer WG zusammengelebt, später dann im Haus von Doris’ Eltern in Döbling, wie sich das für junge Liebende jener Epoche gehörte, im selbst ausgebauten Dachboden. Robert war nicht nur ein Teufelsgeiger, er war für seine Freunde auch der Kifferkönig. Doris hat das Kiffen natürlich ausprobiert, ist aber immer eingeschlafen und hat sich daher für Gin-Tonic, Cola-Rum und/oder Rotwein entschieden.
In den Siebzigern war Robert, der Teufelsgeiger, dann nicht mehr so gefragt, also hat er seine auch finanziell stets verlässliche Buchhändlerin geheiratet. Es war eine Traumhochzeit. Ganz bunt, im Grünen und mit vegetarischem Buffet. Dann wurde Doris schwanger, aber Robert zog seine Kreativität in den Femen Osten. Er wurde noch Zeuge der sanften Geburt seiner Tochter, doch drei Monate später war er für immer dahin. Indien. Nepal. Katmandu. Wahrscheinlich ist der Scheißgeiger längst tot.
Seine Tochter hat mittlerweile Matura, beantwortet die Leserpost einer Fernseh-Illustrierten, vögelt im Unterschied zu ihrer Mama, die seit dem Abgang von Robert, dem Teufelsgeiger, den Männern abgeschworen und sich vollinhaltlich auf Rotweine aus biologischem Anbau verlegt hat, mit Hingabe durch die Gegend. Derzeit hält sie bei 39 Liebhabern. Das Einzige, das ihr in ihrem jungen aufregenden Leben wahnsinnig auf den Hammer geht, ist ihr Name. Weil es der Name einer greinenden Protestsängerin ist, die Robert, der kiffende Teufelsgeiger, und Doris, die saufende Buchhändlerin, über alles geliebt haben.
„Coole Geschichte, oder?“, sagt Melanie.
„Hmm“, sage ich.
„Keine Angst. Wir werden trotzdem gut schlafen“, meint Melanie, schubst mich aufmunternd und steigt dann aus dem Bett. Ich sehe ihr dabei zu, wie sie ihre Kleider zusammensucht, eine kalte Zigarette zwischen den Lippen, und gegen ihre Tränen ankämpft.
„Ich hab’s gleich gewusst“, sage ich. „Ich hab gewusst, die Sache kann nur ins Auge gehen.“
Aber da ist Melanie im Bad und hört mich nicht.
„Apropos“, sagt sie, als sie in BH und Höschen wieder ins Zimmer kommt. „Mit dem Trainer wäre es nicht viel anders gelaufen. Wir waren schon ziemlich nah dran.“
Dann zündet sie sich die Zigarette an, setzt sich auf den Bettrand und fängt an, ihre Strumpfhose aufzurollen. „Ahja?“, sage ich. „Woher kennst du ihn überhaupt?“
„Ich hab ihn angerufen“, sagt Melanie. „Wir hatten letzte Woche eine witzige Leserbrieffrage zur Blutrausch-Verfilmung und der Trainer hat sie mir sehr witzig beantwortet. Dann haben wir uns am nächsten Tag bei ihm in der Gegend auf einen Drink getroffen.“
Während Melanie in die Strumpfhose steigt, weiß sie zu berichten, dass der Trainer nicht nur eine angenehme Telefonstimme hat, sondern auch von Angesicht zu Angesicht ihr Interesse wecken konnte.
„Und dann hat er dich in seine chaotische Mansarde eingeladen, um dir seine Plattensammlung zu zeigen“, sage ich, weil ich mich und meinen Trainer kenne.
„Falsch“, sagt Melanie. „Wir haben uns nicht seine Plattensammlung angesehen, sondern Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia, übrigens ein ganz toller Film von . . .“
„Sam Peckinpah. Ich weiß“, sage ich. „Mexiko. Betrunkener Klavierspieler. Zehntausend Dollar. Friedhof. Verwesender Kopf eines Toten im Plastiksackerl. Viele Fliegen. Und Kris Kristofferson spielt auch mit.“
„Gehört der Film etwa zum Standard-Repertoire, wenn der Trainer eine Frau ins Bett kriegen will?“, fragt Melanie und lacht endlich wieder.
„Ich will ihm nix unterstellen“, sage ich. „Aber deiner Bemerkung von vorhin entnehme ich, dass es dazu nicht gekommen ist.“
Weil das Telefon geläutet hat und der Trainer einen Anruf erhielt, der ihn völlig aus der Fassung brachte. Laut Melanie hat er kreidebleich und kettenrauchend seine tausend Ordner und Mappen nach irgendwelchen Aufzeichnungen durchwühlt, während sie versucht hat, dem blutigen Finale des Films zu folgen.
„Und worum ist es in
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