Kurt Ostbahn - Kopfschuss
macht ein angewidertes Gesicht, was seine unzähligen Furchen und Falten gewaltig durcheinander bringt. Für einen Moment sieht er aus wie hundertfünfzig. Dann erhellt ein spitzbübisches Grinsen seine verwitterten Züge und er holt unter einer bunten Decke einen Sony-Discman hervor: „Musik? Oder Batterien, 1,5-Volt-Babyzellen?“
Der alte Mann in der Wüste ist offenbar auch ein Mann der Überraschungen.
„Klar können Sie Batterien haben“, sage ich. „Und Musik hab ich auch im Auto. Aber ob Ihnen die gefällt? Ich hab George Benson, einen Best of Motown-Sampler, James Brown und Kind of Blue von Miles Davis, aber die CD ist leider unverkäuflich.“
„Ist das gute Musik?“, will Hondo wissen, ehe er sich auf den Handel einlässt.
„Klar ist das gute Musik.“
„Es gibt nur gute oder schlechte Musik“, teilt Hondo in diesem Punkt die Meinung von Duke Ellington. „Ich will gute Musik hören.“
Als ich seinen Discman mit zwei Langzeitbatterien zum Laufen gebracht habe und er sich nach einem ausführlichen Studium der CD-Covers schließlich für Live at the Apollo von James Brown entschieden hat, krieg ich im Gegenzug endlich meine Schale Wüstensuppe.
Das Gesöff schmeckt wie eingekochte Eselpisse. Nach dem dritten oder vierten Löffel krieche ich vor Hondos Hütte kotzend durch den heißen Sand und habe nur noch einen Wunsch, nämlich auf der Stelle sterben zu dürfen. Wie bestellt tut sich der mexikanische Himmel auf, als wäre er ein blaues Schiebedach, und viele meiner besten Freunde, von denen ich bis zu diesem magischen Augenblick nicht wusste, dass sie meine besten Freunde sind, kommen aus einem strahlenden, aber angenehm kühlen Weiß zu mir herab, sagen „Grüß Gott“, „Hallo“, „Hola“ und „Wie hama’s?“. Eine gigantische Party in der Wüste mit mir als lausigem Gastgeber. Sogar Heinrich Heine und Kurt Ostbahn sind da. Sie sehen mit ihren schwarzen Hüten und den Sonnenbrillen wie die Blues Brothers aus, aber sie singen nicht, weil sie Durst haben.
„Hondo!“, rufe ich in die Hütte. „Wir haben ganz viele Gäste! Gibt’s hier nichts zu trinken?“
Aber Hondo hört mich nicht. Er hört zum ersten Mal in seinem Leben James Brown.
15. WIEN-FÜNFHAUS
„Soll ich dir eine Geschichte erzählen, bevor ich gehe“, fragt Melanie.
Es ist kurz nach drei.
Wir sind nackt und liegen in dem Doppelbett, zu dem sich meine Bettbank nach langem Zureden (und auch dann nur mit viel Geduld und Geschick) ausklappen lässt. Die Flasche Weißwein, die uns der Herr Josef mit auf den Weg gegeben hat, haben wir irgendwann ausgetrunken. Wir haben uns auch die Fotos von Jean Seberg mit dem jungen Jean Paul Belmondo angesehen. Außer Atem. Und wir haben sogar kurz den Fernseher angedreht und über eine deutsche TV-Wettertante gelacht, weil auch Wettertanten ein Anrecht auf einen knackigen Hintern haben, diese aber von ihrem Wettergott mehr als stiefväterlich ausgestattet worden war.
Den erheblichen Rest der Zeit haben wir uneigennützig mit dem Auskundschaften und Verwöhnen unserer Luxuskörper verbracht. Eine schöne und mehr als abendfüllende Beschäftigung, bis jener kritische Punkt erreicht ist, ab dem Mann und Frau wieder zu klaren Gedanken und gefühlsneutralen Aussagen fähig sind.
„Wieso willst du gehen?“, sage ich und schmiege mich unter der Decke wieder enger an Melanie. „Ich hab mindestens drei elektronische Wecker, die auch funktionieren, falls du früh aus den Federn musst, ich besorg uns ein grandioses
Frühstück und außerdem riechst und schmeckst du so gut, dass ich nicht ohne dich aufwachen will.“
„Ich wach aber lieber in meinem eigenen Bett auf“, bleibt Melanie hart. „Willst du trotzdem die Geschichte hören?“ „Immer“, sage ich ohne wirkliche Hintergedanken. „Ganz besonders wenn es die Trainer-Geschichte ist, wegen der wir uns eigentlich im Rallye getroffen haben.“
„Was hat der Trainer mit uns zu tun?“, fragt Melanie und liegt dann plötzlich da wie ein Brett.
„Gar nix“, sage ich. „Aber am Telefon hast du gemeint, du wüsstest was über ihn, woraus ich eventuell schlau werden könnte.“
„Das hab ich gesagt?“
Melanie strampelt die Decke weg wie ein trotziges Kind und steigt aus dem Bett.
„Hast du gesagt. Vielleicht nicht im selben Wortlaut, aber sinngemäß. Okay, jetzt beruhig dich und komm wieder ins Bett, oder setz dich irgendwo hin, und dann erzähl mir die Geschichte, die du mir erzählen wolltest.“
Melanie hockt
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