Kurt Ostbahn - Kopfschuss
farbenfrohe Erkenntnisse über den wahren Sinn unseres Daseins beschert.
„Aber wenn Sie kein Schamane sind“, frage ich Hondo, „was sind Sie dann?“
„Ich bin Pensionist“, antwortet der greise Indianer.
„Und davor? Ich meine, was haben Sie vor Ihrem Ruhestand gemacht?“
„Ich war Zugbegleiter.“
„Zubegleiter? Heißt das, Sie haben in der Eisenbahn Fahrkarten entwertet, den Gästen in der ersten Klasse Getränke serviert und Tickets verkauft? Kann ich mir nicht vorstellen.“ „Ich war Zugbegleiter“, wiederholt Hondo. „Wovon du sprichst, heißt in Mexiko Schaffner. Ich war nie Schaffner. Ich war Zugbegleiter“
„Und was ist die Aufgabe eines Zugbegleiters?“, frage ich Hondo, der offenbar weder über das Universum und die Esoterik noch über seine berufliche Karriere gerne Auskunft gibt.
„Heute gibt es keine Zugbegleiter mehr“, ist er dann doch zu einer Auskunft bereit. „Früher sind die Zugbegleiter auf ihren Pferden neben dem Zug geritten, und wenn das wegen der Streckenführung nicht möglich war, in den Viehwaggon zugestiegen. Ihre Aufgabe war es, das Hab und Gut der Fahrgäste und das Eigentum der Eisenbahngesellschaft gegen Banditen zu schützen. Damals gab es auch noch den Beruf des Desperados, der auf das Überfallen von Zügen und das Ausrauben der Fahrgäste spezialisiert war. Die Aufgabe des Zugbegleiters war es, den Desperado am Überfallen des Zuges zu hindern und in die Flucht zu schlagen. Und das ist mir in den meisten Fällen auch gelungen.“ „Und wie lang haben Sie diesen gefährlichen Job gemacht?“, frage ich.
„Ich hab aufgehört, als General Cardenas Präsident wurde und die Eisenbahn verstaatlicht hat. Das muss so um 1934 gewesen sein. Danach war ich mit Roddy durch den Norden Mexikos unterwegs. Fünfzehn Jahre lang.“
„Wer ist Roddy?“, frage ich und rechne nur schnell einmal durch, wie alt der alte Mann heute sein muss, wenn er das alles tatsächlich erlebt haben will. Hondo huscht in seine Hütte und kommt gleich mit einem abgegriffenen Paperback wieder: Rodney O’Brien: An Irishman Under The Sun Of Mexico.
Eine Art Reisebericht eines wortgewaltigen, aber finanzmaroden irischen Weltenbummlers aus dem Jahr 1949, erschienen im Verlagshaus Broderick & Sons, New York. In den Danksagungen am Beginn des Werkes findet sich an erster Stelle tatsächlich der Name Hondo, der dem Autor stets ein treuer Gefährte, wahrer Freund und mit den Tücken und Gefahren des Nordens vertrauter Führer und Fahrer gewesen ist.
„Und wieso leben Sie jetzt in einer aufgelassenen Bahnstation mitten in der Wüste?“, frage ich.
„Dos Burros war nie eine Bahnstation“, sagt Hondo. „Die Gleise da haben noch nie einen Zug gesehen. Steht alles da drinnen.“
Hondo reißt mir das Buch aus der Hand und schlägt ohne hinzusehen die entsprechende Seite auf. Dann gibt er mir Rodney O’Briens Mexiko-Bericht wieder zurück.
Ich gebe zu, ich bin kein großer Leser. Noch dazu liebt der irische Abenteurer in Schachtelsätzen abgepackte Naturbeschreibungen, die mich an meine Schulzeit und daher an Adalbert Stifter erinnern. Und schlussendlich herrschen vor Hondos Hütte Lichtverhältnisse, die einem das Lesen nicht gerade zum Vergnügen machen.
Viele Stunden später weiß ich, wie Pumas aussehen, die sich von Jean Paul Gaultier einkleiden lassen, was Adler fühlen, wenn sie ins Münzamt zitiert werden, und was Schlangen von meiner vormaligen Lebensgefährtin halten.
Außerdem weiß ich Dinge über Dos Burros, die weder mich noch sonst einen Menschen auf dieser Welt interessieren, unser irischer Freund Rodney O’Brien aber der Nachwelt hinterlassen hat:
Dos Burros ist tatsächlich keine Bahnstation, verdankt seinen Namen aber zwei betuchten Herren, die glaubten, mit einer Eisenbahnlinie das Geld ihres Lebens zu machen. Die beiden Esel waren ein texanischer Bankier namens Howard S. Floyd und Jose Escobar-Fraunfeldt, ein Enkel jenes adeligen Großgrundbesitzers, dem einst die ganze Gegend gehörte. Das Gutachten eines windigen Geologen wies auf dem Grund und Boden der Escobar-Fraunfeldts große Silbervorkommen nach, erste Schürfungen bestätigten die getürkte Studie, und schon war eine amerikanische Eisenbahngesellschaft zur Stelle, um den Bau einer Bahnlinie durchzuführen, die das viele Silber direkt aus der Wüste an den Golf von Mexiko transportieren sollte. Ein ausgemachter Schwindel, der den texanischen Bankier zuerst in den Ruin und dann in den Selbstmord trieb.
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