Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Leben gem. Aber als Ausländerin muss ich regelmäßig nachweisen, dass ich mit meiner Stimme in den Staaten auch meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Eine Sängerin aus Texas oder Ohio oder Nebraska muss das nicht. Und sie kann, im Unterschied zu mir, auch nicht die Arbeitserlaubnis verlieren und ausgewiesen werden. Sie kann an ihrer Musik arbeiten und muss nicht jeden Scheißjob annehmen, um über die Runden zu kommen. Es war zum Beispiel gar nicht so einfach, die drei Tage Urlaub zu kriegen, um bei Hondos Geburtstag mit dabei sein zu können. Und ich war bisher auf jeder seiner fiestas, seit mich Ramon mitgenommen hat. Beim ersten Mal war ich, glaub ich, dreizehn oder vierzehn.“
„Hondo hat heute Geburtstag?“
„Hondo weiß nicht, wann er Geburtstag hat. Er weiß auch nicht, in welchem Jahr er geboren wurde. Deshalb haben wir den Día de los Muertos und seine Geburtstagsfeier zusammengelegt. Ein Doppel-Fest. Wir feiern mit den Toten und wir feiern mit Hondo.“
Die Feierlichkeiten steuern auf einen frühmorgendlichen Höhepunkt zu, als eine üppige Biker-Braut von zwei Angels auf eine Holzkiste gehievt wird und sich in einer Art Schlangentanz aus ihrer schwarzen Lederhaut schält. Die Festgäste spenden reichlich Applaus und Tequila und geraten in Verzückung, als die Tänzerin ihre enormen Brüste mit Schnaps begießt und beginnt, den Tequila genüsslich von ihren Brustwarzen zu lecken. Zwei Angels krachen bei dem Versuch, zu ihr auf die improvisierte Bühne zu klettern und mitzuspielen, zuerst verbal und dann mit gezückten Springmessern aneinander. Ramon schlichtet den Disput, indem er die beiden Kontrahenten per Kinnhaken in den Sand schickt. Ein weiterer Raufhandel beendet die tänzerische Darbietung, noch ehe die letzten Hüllen gefallen sind. Diesmal streckt Ramon gleich drei seiner Kumpane nieder, weil sie sich nicht darüber einigen können, wer der Schlangentänzerin den Tangaslip bloß mit den Zähnen von den ausladenden Hüften ziehen darf.
„Raue Sitten“, sage ich.
„Ein raues Land“, sagt Linda.
Sie hat die Disziplinierungsmaßnahmen ihres Bruders mit einem amüsierten Schmunzeln beobachtet und hell aufgelacht, als Ramon zwei Streithähne am Kragen gepackt und mit den Köpfen zusammengestoßen hat. Die beiden hocken nun mit blutenden Nasen im Sand, während Ramon die fast nackte Tänzerin von der Bühne holt und mit ihr in einer der Hütten verschwindet.
„Wo ist Hondo?“, frage ich. Der alte Mann hat vor geraumer
Zeit seinen Platz am Lagerfeuer verlassen und war auch während der Striptease-Einlage nicht unter den Zuschauern. „Der sitzt irgendwo mit den Neuen zusammen und erzählt ihnen seine alten Geschichten“, sagt Linda. „Die Geschichte vom Zugbegleiter, die Geschichte von den zwei Eseln und der Silbermine, die Geschichte, wie Tres Cruces zu seinem Namen kam . . .“
„Die kenn ich noch nicht“, sage ich.
„Wollten Sie nicht ursprünglich nach Tres Cruces? Hondo hat so etwas erwähnt“, sagt Linda. „Warum ausgerechnet Tres Cruces?“
„Gute Frage“, sage ich. „Ich weiß es nicht.“
Was ja irgendwie auch stimmt, weil ich meinen Auftrag vor ein paar Stunden unwiderruflich zurückgelegt habe und dieses raue Land schleunigst verlassen will. Vielleicht, um mir von Linda die Sehenswürdigkeiten von Austin, Texas, zeigen zu lassen.
„Das Einzige, das eine Fahrt nach Tres Cruces wert wäre, ist der tezquina bei Emilio“, sagt Linda.
„Was ist das?“
„Der Maisbranntwein von Emilios Mutter.“
„Mein Bedarf an mysteriösen Wüsten-Drinks ist für die nächsten Jahre gedeckt“, sage ich. „Aber wenn ich schon nicht nach Tres Cruces komme, würde ich doch gern erfahren, wie der Ort zu seinem Namen kam. Erzählen Sie mir doch Hondos Geschichte, Linda. Ich hör so gern Ihre Stimme und ich liebe Ihren Akzent.“
Linda hört das gar nicht gern. Grimmige Skepsis umwölkt ihre Stirn.
„ Exoten-Bonus? “
„Blödsinn“, sage ich. „Oder vielleicht auch das. Ich weiß es nicht. Sie verwirren mich. Wir sitzen hier seit Stunden und reden über Gott und die Welt . . . “
„Ich rede“, korrigiert mich Linda. „Ich weiß nur, dass Sie der loco sind, der mit den Tieren spricht. Haben Sie auch einen Namen?“ „Robert“, sage ich, weil mir in der Hitze des Gesprächs nichts Besseres einfällt.
„Hi, Robert.“
„Hi, Linda.“
Schweigen.
Die Junkyard Angels haben die Nacht durchgemacht, kommen aber jetzt erst so richtig in Stimmung. Leistungsschau.
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