Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Kurtl“, meinte sie, etwas außer Atem. „Gib mir noch drei Minuten, dann haben wir’s endlich geschafft. Ich ruf dich zurück.“
„Großartig“, sagte ich und legte auf.
Ich hatte drei Minuten Zeit, mir Melanies kleinen Drachen vorzustellen und was der Typ mit ihr an einem grauen, regnerischen Allerheiligenmorgen so alles anstellt, unter der Daunentuchent, unter der Dusche, auf dem Küchentisch oder auf dem Vorzimmerteppich. Drachen sind, wie man weiß, höchst phantasiebegabte Wesen und Melanie ist das auch. Davon konnte ich mich vorletzte Nacht ansatzweise überzeugen.
Als der himmelblaue Chevy nach drei Minuten nicht hupte, erhob die November-Depression erneut ihr hässliches Haupt und krähte: „Was hast du dir anderes erwartet? Sie ist blutjung und bildhübsch, blitzgescheit und auf eine liebenswerte Art exzentrisch. Und was bist du, oh Kurt? Was hat ein alter Depp in diesem jungen, blühenden, aber auch reichlich komplizierten Leben der Melanie Echsner zu suchen? Dein Platz ist auf der Bühne mit den Herrn von der Kombo, beim Wirten mit den Herrn von der Kombo und deinen fragwürdigen Freunden und daheim auf der Bettbank, - allein. Das ist dein Leben, Kurt. Und weil dieses Leben ein Trauerspiel ist, singst du so überzeugend den Favorit’n’Blues. Also lass die Kleine mit ihrem kleinen Drachen glücklich werden. Das Glück, das sie in ihrem Leben braucht, kannst du ihr nicht geben.“ Nach vier Minuten und dreiundzwanzig Sekunden hupte der Chevy.
„Ostbahn.“
„Melanie.“ Ziemlich außer Atem. „Geschafft. Wir sind im nächsten Level!“
„Großartig“, sagte ich.
„Kennst du Spyro?“
„Nicht persönlich“, sagte ich. „Aber der Typ nimmt dich ordentlich her. Macht er das jeden Morgen?“
„Sieben Mal die Woche, gleich nach dem Zähneputzen und dem ersten Kaffee“, lachte Melanie. „An Sonn- und Feiertagen haben wir mehr Zeit. Da muss ich nicht in die Redaktion und kann mich so richtig austoben.“
„Und warum rufst du mich dann zurück?“, fragte ich Melanie, weil ich mich fragte, welches grausame Spiel da mit mir getrieben wird.
„Spyro fliegt gerade“, meldete Melanie.
„Kann ich mir gut vorstellen.“
„Wir sind jetzt auf einem Level“, erklärte sie mir freudig erregt, „wo er nicht nur gleitet, sondern richtig abheben und fliegen kann.“
„Wunderbar, Melanie, aber ich hab dich eigentlich angerufen, weil ich mit dir noch einmal über den Trainer reden wollte.“
„Kein Problem“, sagte Melanie. „Bleib einen Moment dran, ich mach nur rasch die Playstation aus. Spyro muss in sein Drachenbett.“
25. TRES CRUCES,
MEXICO
Der Duke ist heute hoch zu Ross.
Es gibt Leute, die haben ganz einfach ein Cowboyhut-Gesicht, ein Verspiegelte-Sonnenbrillen-Gesicht, ein Die-kalte-Zigarillo-im-Mundwinkel-Gesicht, und diese Leute machen auf dem Pferderücken auch noch im Pensionsalter und mit einem steifen Bein eine glänzende Figur.
„Hi, John“, sagt der Duke und schwingt sich vor Emilios Hütte aus dem Sattel. „Ich muss mit dir reden. Aber nicht jetzt. Du siehst ja . . .“
Er deutet auf sein Gefolge, das mehr als matt in Tres Cruces einreitet. Die acht Damen und Herren tragen Wildwest-Kostüme, die aus dem Fundus eines nie gedrehten Wyatt-Earp-Musicals stammen könnten, haben eindeutig keine Cowboyhut-Gesichter und machen zu Pferde einen eher jämmerlichen bis bedauernswerten Eindruck.
„Computer-Fuzzis aus New York City“, brummt der Duke und wischt sich mit einem karierten Taschentuch den Schweiß vom Nacken. „Drüben im Paraiso haben wir noch mehr davon. Die dreißig erfolgreichsten Verkaufsleiter eines Software-Giganten, die von der Firma zur Belohnung an die frische Luft geschickt wurden. Drei Tage Mexiko aus der Fünf-Sterne-Perspektive. “
Der Duke geht seinen Schützlingen beim Einparken der Pferde zur Hand, hilft den Damen aus dem Sattel und beantwortet geduldig deren dringende Anfragen nach Toiletten oder Badezimmern, in denen man sich frisch machen kann, für die (in der Wüstenritt-Pauschale inbegriffene) original mexikanische jause in einer original mexikanischen cantina.
„Tut mir Leid, meine Damen, aber Tres Cruces ist noch nicht an die New Yorker Kanalisation angeschlossen“, scherzt der Duke. „Sie müssen sich also mit den bescheidenen Örtlichkeiten im Hof links hinterm Haus begnügen.“ Sieben Reiter finden diese vorsintflutlichen Zustände amüsant, kurios, pittoresk, romantisch, irgendwie aufregend, in jedem Fall aber
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