Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Welt“, sagte ich zum Doc. „Egal, wo du hineinstichst, es kommt nur noch Eiter raus.“
„Dein Hang zum Fatalismus ist mir neu, mein lieber Kurt, bringt uns aber auch nicht schneller ans Ziel“, sagte der Doc.
„So wird man, wenn man Kabelfernsehen hat und den schweren Fehler macht, nicht nur die Sportkanäle zu nützen“, sagte ich.
Dann warf der Doc einen Blick in den zentralen Polizeicomputer, zu dem Normalsterbliche, und dazu gehört auch der Privatermittler, von Rechts wegen keinen Zugang haben. Wer datengeschützte Informationen über das Leben, Lieben und Leiden eines Mitbürgers haben will, muss sich an die zuständigen Beamten des Innenministeriums wenden, bei denen sämtliche vertraulichen Daten käuflich erworben werden können.
Doktor Trash ist aber ein sparsamer Mensch, außerdem ist unser Ermittlungsbudget auch in diesem Fall ziemlich begrenzt, und daher wählte er den ebenso illegalen, aber kostenlosen Weg durch die Hintertür, um an Wissenswertes über Roman Schindler zu gelangen.
Vieles, das der zentrale Polizeiapparat zu seiner Person im Speicher hat, wussten wir bereits: Geboren in Wien. Verstorben in Dreikreuz, Burgenland, an den Folgen von Schussverletzungen, zugefügt von unbekanntem Täter. Volksschule, AHS, Student an der Universität Wien (seit 1995). Führerscheinbesitzer (seit 1993). Fuhr zuletzt einen Ford Ka, dunkelblau, mit dem Wiener Kennzeichen W 7631 AK.
Was wir immer schon über Roman Schindler wissen wollten und prompt aus dem zentralen Polizeicomputer erfahren haben: Die Eltern, Mag. phil. Maria und Dkfm. Heinz Schindler, kamen im März 1982 bei einem Lawinenunglück in den Hohen Tauern ums Leben. Roman wuchs bis zu deren Tod im Oktober 1992 bei seiner Großmutter, Karoline Schindler, in Payerbach an der Rax auf, er war ledig, römisch-katholisch, unbescholten, Zivildiener, seit März letzten Jahres gemeldet in Wien-Meidling, Bonygasse 28, hatte ein Studentenkonto bei der Bank Austria, Filiale Meidlinger Hauptstraße, studierte am Romanistik-Institut der Uni Wien das Spanische und war Mitglied folgender Parteien / Parteiorganisationen / Vereine / Verbindungen / Sportklubs etc.: Vier Pfoten, Buchgemeinschaft Donauland, World Wildlife Fund (WWF), Schallplattenclub der Jugend, Österreichisches Rotes Kreuz, Amnesty International, Club Jazzland, Österreichische Gesellschaft für Literatur, Club Ö3, Wiener Städtische Büchereien, Lateinamerika-Institut, SOS-Mitmensch.
„Ein ernster junger Mann also“, versuchte sich der Doc, der wahrscheinlich heimlich Herzblatt sieht, in einer ersten spontanen Analyse. „Ein Vollwaise, dem jedes Leben auf Erden am Herzen lag, insbesondere das der Spanisch sprechenden Weltbevölkerung und der vom Aussterben bedrohten Tierarten. Entspannung und Erholung verschaffte er sich durch die Lektüre gehobener bis hoher Literatur sowie den Besuch von Jazzclubs und Rockkonzerten, wo nicht der pure Hedonismus gepredigt wird, sondern der Künstler sozusagen auch was zu sagen hat. Ein typischer Sting-Fan, der U2 nach Rattle And Hum kopfschüttelnd und bitter enttäuscht den Rücken gekehrt hat. Also kein Mensch, den man unbedingt im Burgenland an einen Baum binden und mit drei Schüssen hinrichten müsste, außer er war auch noch Vorsitzender der gefürchteten Geheimorganisation AMKM („Alle Macht den Kuschelmonstern“) und als solcher heimlich mit der Vorbereitung einer kuschelweichen Weltrevolution befasst.“ Soweit der Doc. Auch er war zu diesem Zeitpunkt bereits rechtschaffen müde.
Wir vertagten auf morgen - same time, same Station - und gelobten einander, über die heute gewonnenen Erkenntnisse vor dem Schlafengehen noch einmal gründlich nachzudenken.
„Awend“, begrüßt der Polifka Rudl zahnlos die Runde, die auch heute wieder nur aus mir besteht. Er betritt das Rallye, fast wie ausgemacht, genau zu dem Zeitpunkt, an dem ich vom einfachen Nachdenken nahtlos ins ernsthafte Grübeln geraten wäre.
„Hmm“, macht der Rudl und schnuppert. „Dem Josef sein Supperl. Schad, dass i heut scho wos gessen hob. De Girls haben wos kommen lassen vom Chinesen. Knuspernde Ente. Es war afoch ka Gschäft heut. Nix los. Es sparn jo olle schon auf Weihnachten, die Trotteln.“
Der Polifka fasst sich den Kurier, wankt an seinen Stammtisch und beginnt mit dem Studium des Fernsehprogramms. Der Herr Josef kommt aus der Küche, schenkt dem Rudl sein erstes Achtel ein und stellt mir die Flasche Fernet hin. „Selbstbedienung“, sagt er.
„Moment“,
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