Kurt Ostbahn - Kopfschuss
Sie wanken und torkeln zwar, verfehlen aber nicht die beiden „0“s des verwitterten Dos Burros-Schildes über der Tür des vermeintlichen Bahnwärterhäuschens. Sie treffen mit Pumpguns und Revolvern bei jedem Schuss ins Schwarze. Ein Experte erntet Szenenapplaus, als er das mit seinen Wurfmessern schafft, und schlussendlich treten zwei Bogenschützen an, von denen einer gar nicht indianisch aussieht, und platzieren ihre Pfeile punktgenau in der Mitte der beiden „Ous. Es gibt keine Siegerehrung. Es gibt frischen Kaffee und noch mehr Tequila.
„Sie sind gut“, freut sich Linda. Und ich bin froh, meinen Auftrag storniert zu haben.
„Und wie war das mit Tres Cruces?“, frage ich. „Sie sind mir noch eine Geschichte schuldig, Linda. Wie Tres Cruces zu seinem Namen kam.“
„Durch Escobar-Fraunfeldt, den Arsch von Großgrundbesitzer, der einen Aufstand der Landarbeiter niedergeschlagen hat, indem er ihren Anführer an der Kirchenmauer öffentlich hinrichten ließ. Keine gute Geschichte für eine fiesta. Die Dorfbewohner mussten sich vor der Missionskirche versammeln und mitansehen, wie ihr Anführer von einem Kopfgeldjäger und Berufskiller aus dem Norden mit drei Schüssen qualvoll exekutiert wurde. Der Gringo schoss ihm ins Knie, in den Unterleib und erst nach einer langen Pause endlich in den Kopf. Danach ließ Escobar-Fraunfeldt drei goldene Kreuze auf dem Kirchturm anbringen, als Mahnung an die Bauern und peones, Gott und ihrem Landesherrn stets ergeben und ehrfurchtsvoll zu dienen. Das war vor mehr als hundert Jahren. Und seit damals heißt das Dorf Tres Cruces.“ „Eine scheußliche Geschichte“, sage ich.
„Aber auch von einer gewissen Zeitlosigkeit“, sagt Linda. „Und zurzeit wieder hochaktuell. Die Hacienda der Escobar-Fraunfeldts ist heute ein Luxus-Hotel und gehört einer amerikanischen Witwe, Regina Grimes, die in ihren drei Ehen so viele Millionen angehäuft hat, dass sie heute die ganze Gegend regiert. Sie kauft alles und jeden. Sie kauft Grund und Boden und sie kauft die Menschen. Wer sich nicht kaufen lässt, dem macht sie das Leben zur Hölle. Auf Ramon hat sie einen Profi-Killer aus den Staaten angesetzt. Der Mann heißt Smith, John Smith. Wahnsinnig origineller Name, was? Aber der Typ ist eine Flasche und keinen Gent seiner Gage wert.“
„Nein?“, frage ich.
„Nein“, sagt Linda und lacht. „Der Idiot sitzt drüben in Tres Cruces bei Emilio und wartet darauf, dass ihm Ernesto seinen Mietwagen repariert. Aber Ernesto hat noch nie in seinem Leben ein kaputtes Auto oder Motorrad zum Fahren gebracht. Ernesto zerlegt die Wracks, die ihm die Junkyard Angels vorbeibringen, und verkauft die brauchbaren Einzelteile an seinen Bruder in Monterrey. Und den Wagen von einem Gringo-Arschloch wie John Smith würde er auch dann nicht reparieren, wenn er dazu fähig wäre.“
„Und dieser John Smith sitzt jetzt also in Tres Cruces in der Falle?“, frage ich vorsichtig nach. „Was wird mit ihm geschehen? Ich meine, wird er sterben müssen?“
„Wir alle müssen sterben“, meint Linda.
Ich bitte die Dame meines Herzens, mich kurz zu entschuldigen, und gehe hinter Hondos Hütte, wo ich am Fuße des Sechs-Meter-Kaktus ungestört pinkeln und nachdenken kann.
„Robert! John! Auf ein Wort!“, scheuche ich meine treuen Begleiter aus dem Schlaf. „Ich weiß, es ist noch früh, aber ich brauche euren Rat. Die Lage ist ernst.“
„Wie ernst?“, erkundigt sich Robert Mitchum und blinzelt in die Morgensonne.
„Zu viel Wüstensuppe?“, erkundigt sich John Smith. „Ich hab dich gewarnt.“ Dann dreht er sich um und schläft weiter.
Mag sein, dass ich bei Hondos magischem Gebräu in den letzten zwei Tagen etwas über die Stränge geschlagen habe und auch im Umgang mit Agavenschnäpsen nicht geübt und ausreichend geeicht bin, aber Lindas Geschichten über Tres Cruces und einen Killer namens John Smith sind keiner meiner Visionen entsprungen. Das alles hab ich vor wenigen Augenblicken tatsächlich gehört, vielleicht nicht im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, aber es war Wirklichkeit, vor Hondos Hütte, nur wenige Meter von meinem jetzigen Standort entfernt.
Ich bin John Smith, der Halbpreis-Killer. Und ich bin in Dos Burros auf einer Party der Junkyard Angels, die alljährlich zu Ehren von Hondo und den Toten gefeiert wird.
Ein Auftragskiller gleichen Namens, über dessen Preisgestaltung mir nichts bekannt ist, wartet in Tres Cruces auf die Reparatur seines Mietwagens, um danach
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