Kurt Ostbahn - Kopfschuss
ich.
„Hab ich dir noch nicht erzählt, dass Diskretion mein zweiter Vorname ist?“, sagte Melanie mit einem verschwörerischen Lächeln und verschwand dann auf die Damentoilette, wahrscheinlich um sich den Lidstrich nachzuziehen.
Ich vermute ja, sie genießt es, mit drei ihrer mehr oder weniger intimen Männerbekanntschaften, die ihrerseits wiederum eine Art Schicksalsgemeinschaft bilden, ein mörderisches Geheimnis zu teilen, das nun in den ehrwürdigen, mittlerweile sogar als Maturastoff zugelassenen Räumlichkeiten des Cafe Rallye gelüftet werden soll.
„Melanie“, unterläuft der Trainer allerdings gleich zu Beginn des Meetings die vom Doc verordnete Sitzungsdisziplin, „sag mir, wie kommst du da her ins Rallye?“
„Mit der U6 bis Längenfeldgasse, und das letzte Stück ...“ „Später!“, fährt der Doc dazwischen. „Könnten wir solche Fragen bitte später und im Einzelgespräch klären? Geht das? Danke. Mein Vorschlag: Der Trainer und Roman berichten, was sich in den letzten Tagen, seit der Trainer quasi fluchtartig seine Wohnung verlassen hat, zugetragen hat.“ „Fluchtartig?“, sagt der Trainer und macht große Augen. „Na, schon“, sagt Melanie, die eigentlich nicht am Wort ist. „Also wenn das keine Hals-über-Kopf-Aktion war, dann weiß ich nicht ...“
„Melanie, würdest du dich eventuell aufs Zuhören beschränken?“, weist sie der Doc in die Schranken. „Also was ist danach passiert, Trainer? Beziehungsweise: Warum überhaupt dieser eilige Aufbruch? Du hast dir zusammen mit Melanie Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia angesehen ...“
„Spitzenfilm“, ruft sich der Polifka Rudl, der die letzte Stunde über dem Fernsehprogramm geschlafen hatte, wieder in Erinnerung. „Wo spielt’s den heut, Josef? Im Einser oder im Zweier?“
„Auf DDT“, sagt der Herr Josef. „Trink noch a Achtl, Rudl, und lass die Herrschaften in Ruhe ihre Sachen besprechen.“ „Unbedingt“, sagt der Rudl. „Aber was heißt da Herrschaften, Josef? Des san unser Kurtl, der Herr Trainer, der Doktor Fesch, irgendwer Neuerer mit längere Haar und die quasi unsterbliche Jean Seberg. Verehrung, junge Frau!“
Der Polifka zieht vor Melanie den imaginären Hut und versackt dann für den langen Rest des Abends in Schweigen. „... Alfredo Garcia angesehen“, setzt der Doc unterdessen seinen Fragenkatalog unbeirrt fort, „und erhieltst einen telefonischen Anruf, der dich, so empfand zumindest Melanie die Situation, so sehr in Erregung versetzt hat, dass du ...“ „Also ich war dabei, aber davon hab ich nix bemerkt“, meint Melanie und präsentiert dazu ihr strahlendstes und dümmstes Jane-Mansfield-Lächeln.
Ein todsicherer Lacher. Worauf der Doc wortlos seinen Vorsitz zurücklegt und an mich übergibt.
„Okay, Trainer“, sage ich. „Wer hat dich angerufen?“
„Ich“, sagt Roman, der junge Mann mit den langen dunkelbraunen Haaren, der aussieht, als würde ihn jeder kleine
Schritt im Leben ganz viel Bedenkzeit kosten. „Und zwar deshalb, weil ich von der Beamtin in der Teide-Nationalpark-Verwaltung grad erfahren hatte, dass für eine Drehgenehmigung auf Teneriffa die spanische Übersetzung aller Filmszenen notwenig ist, in denen Explosionen, Sprengungen und ähnliche pyrotechnische Aktionen geplant sind. Die Vulkanlandschaft um den Teide ist Naturschutzgebiet und die Flora einzigartig auf der Welt. Durchaus verständlich und begrüßenswert, dass die Behörden auf Teneriffa bei Filmaufnahmen mit explodierenden Autos und brennenden Motorrädern das Risiko für ihre einzigartige Landschaft so klein wie möglich halten wollen.“
„Danke, Roman“, übernimmt der Doc wieder fliegend die Gesprächsleitung. Mit der einzigartigen Flora Teneriffas kann man bei ihm keinen Blumentopf gewinnen. Ich würde sagen, der Doc mag unseren von den Toten zurückgekehrten Spanischstudenten nicht besonders. „Und du hast also diese Übersetzungen angefertigt, Roman?“
„Ja“, sagt Roman leise.
„Weil ich ihn darum gebeten habe“, bricht für ihn der Trainer eine Lanze. „Wir haben uns im Espresso Rondo bei mir unten im Haus kennen gelernt, weil wir beide dort gern frühstücken. Der Roman wohnt ja quasi nur ums Eck von
mir ...“
mir ...
„In der Bonygasse“, wirft der Doc ein, der inzwischen eine schwarze Flügelmappe aus seiner schwarzen Aktentasche geholt hat und in den Papieren blättert.
„Genau“, sagt der Trainer. „Über die Feiertage war er aber aus Gründen, die jetzt zu weit
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