Kurt Ostbahn - Platzangst
ein alkoholfreies Bier und schließe mit mir Wetten ab, welches der beiden Blumenkinder dem Zweckpessimisten ins Netz gehen wird.
Die Wetten stehen 9:1 für die pummelige Hennahaarige mit dem fürsorglichen Blick, als der Fettuccini kommt. Das muß er sein. Er zieht seinen klitschnassen Anorak aus, ist dick und um die Dreißig. In den Mafiafilmen wäre er für eine kleine aber feine Rolle geradezu prädestiniert: der stumme Diener seines Herrn, dem man die längste Zeit eigentlich garnix zutraut, bis er sich in einer nächtlichen Szene im Alfa Romeo seines Chefs vor einer romantischen Trattoria einschleift, eine Maschinenpistole aus dem Kofferraum holt, durch die Scheiben des Lokals seinen gepflegten älteren Herrn und Brötchengeber, der am Fensterplatz mit einer hübschen Blondine zu Abend ißt, über den Haufen schießt, danach die MP wieder in den Kofferraum packt und davonfährt. Und das alles, ohne eine Miene zu verziehen.
Jetzt weiß ich wieder, was ich Brunner fragen wollte, als er mir und den Burschen seine Rolle bei unserer Operation erklärt hat. Ich wollte Brunner fragen, ob er bei seiner Pensionierung nur seine Dienstmarke abgegeben hat oder auch seine Dienstwaffe. Und ob er mit dieser Waffe im Bedarfsfall auch umgehen kann.
Aber jetzt ist es zu spät.
Jetzt sitzt Fettucini an der Bar und bestellt einen kleinen Espresso und ein Glas Soda.
22 Uhr 07.
Der apokalyptische Dreier bezahlt und geht. Wo die Weltuntergangsdebatte fortgesetzt wird und ob ihr missionarischer Eifer die fürsorgliche Pummelige direkt ins Bett ihres weltverdrossenen Gesprächspartners führen wird, werd ich nie erfahren. Und es ist auch nicht mehr so wichtig. Was zählt und mir den Angstschweiß aus den Poren treibt, ist die Tatsache, daß mich nun, nach dem Abgang des Trios, nur noch fünf leere Barhocker von Fettuccini trennen. Der Dicke schickt den vielleicht gerade noch rechtzeitig das Weite suchenden Gästen einen gleichgültigen Blick hinterher, schaut dann ebenso ausdruckslos zu mir herüber und macht einen Schluck von seinem Sodawasser.
Er hat mich gesehen und hat keine Miene verzogen. Aber was sagt das schon. Wer seinen Boß beim Abendessen erschießen kann, der erledigt einen gramgebeugten Musikanten meiner Statur mit links vor dem Frühstück.
22 Uhr 18.
Brunner war kurz telefonieren. Jetzt setzt er sich wieder an seinen Tisch und bestellt noch eine koffeinfreie Melange.
Fettuccini hat in den vergangenen Minuten mit dem Mädchen hinter der Bar geredet. Ich weiß nicht worüber. Aber ich kann’s mir denken. Denn jetzt stellt sie ihm den nächsten kleinen Espresso hin und Fettuccini sagt „Grazie“ oder „Thank You“ oder „Dankschön“.
Wenn alles auch weiterhin nach Plan läuft, werden in wenigen Augenblicken Axel und Ronnie hereinkommen, wie sie immer hereinkommen, wenn sie im Savoy ein Paar Partien Pool spielen wollen.
Der Instrumentenbus parkt gleich um die Ecke, und die beiden sind seit Beginn der Operation mit funktionstüchtigem Handy in Bereitschaft. Brunner hat ihnen ihre Aufgabe klar umrissen: reinkommen, einen der Pooltische in Barnähe anpeilen, Billiardspielen und Biertrinken, letzteres heute ausnahmsweise aber mit Maßen.
Fettuccini kippt den kleinen Espresso mit einer Grazie, wie das nur der Italiener kann.
22 Uhr 20.
Axel und Ronnie machen das ganz gut. Sie schlendern, vielleicht eine Spur zu entspannt und gemächlich, an der Bar vorbei zu den Pooltischen und aus meinem Blickfeld. Ich müßte mich umdrehen, um sehen zu können, was sie dort machen. Ich vermute, sie ziehen ihre regennassen Jacken aus und verlangen nach zwei Krügeln.
Fettuccini hat das Kommen der beiden nicht registriert. Als sie hinter seinem Rücken die Bar passiert haben, hat er wiederum mit dem Mädchen hinter der Theke geredet. Auch jetzt kann ich mir denken worüber.
Plötzlich knöpft er sein olivgrünes Sakko auf, streckt sich durch, wie jemand, dem vom vielen Sitzen das Kreuz weh tut, und greift dann ganz langsam in die linke Brusttasche seiner Jacke.
22 Uhr 21.
Ich glaub ja, so ein Blutbad ist schneller angerichtet, als sich unsereins das vorstellen kann.
Mit der Geschmeidigkeit und tödlichen Präzision eines Pumas fährt der Dicke auf seinem Barhocker herum, zieht gleichzeitig und mit atemberaubendem Tempo zwei großkalibrige Pistolen aus seinen Schulterhalftern und feuert abgezählte dreiundzwanzig Schuß auf Axel und Ronnie ab. Die Burschen tanzen in dem Kugelhagel einen bizarren Totentanz, und noch ehe
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