Kurt Ostbahn - Platzangst
sie leblos auf dem grünen Filz ihres Pooltisches zu liegen kommen, spüre ich glühend heiß die Mündung von Fettuccinis Mordwerkzeug an meiner rechten Schläfe. Die letzte Kugel hat er für mich aufgehoben. „Who the fuck is Ostbahn-Kurti?“ sagt er. Aber ich kann mich auch irren, denn sein Englisch ist mehr als dürftig. Dann drückt er ab und bläst mir einen Tunnel durchs Hirn, und ich fliege in Superzeitlupe vom Hocker und gegen die Theke und durch die Luft, und tausend Gedanken jagen durch meinen Kopf, als hätten sie es wahnsinnig eilig, weil meine Zeit gleich um ist, aber ganz viele Dinge unerledigt geblieben sind; die Sache mit Susi zum Beispiel, damals noch in Simmering; und die Sache mit meinem ersten Satz Mundharmonikas, die ich beim alten Herrn Hofstätter in der Favoritenstraße habe mitgehen lassen, während der Havlicek Peperl den Musikalienhändler in ein Gespräch über seinen reparaturbedürftigen Vox-Verstärker verwickelt hat; und die Sache mit der Kaltenbeck-Küche und meinem Badezimmer. Unzählige verschenkte Chancen und vertane Gelegenheiten paradieren mit affenhafter Geschwindigkeit vorbei und werden immer unwichtiger, unbedeutender, zu schwarzen grauen Punkten von der Größe eines Pfefferkorns in einem strahlend weißen Schneefeld, das bis an den Horizont reicht und weit drüber hinaus. Und der kosmische Staubsauger, falls es sowas gibt, zieht mich weg vom Savoy und heraus aus Hernals und aus Wien, zieht mich hinauf oder eigentlich hinüber in ein schäfchenwolkenweiches Refugium, in dem zwar nicht die Engel singen, aber mit dem alten Bill-Withers-Schlager „Who Is He And What Is He To You“ in der Neuinterpretation von Me’-Shell Ndegeocello läßt es sich da herüben auch ganz gut leben, sozusagen.
„Das sind nur die Nerven“, würde der Trainer sagen, wenn er mich jetzt so sehen würde, kalkweiß im Gesicht und mich mit beiden Händen am Thekenrand festklammernd, während fünf Barhocker weiter Fettuccini sein Handy aus der linken Brusttasche seines olivfarbenen Sakkos holt, sich dabei im Lokal umschaut und Axel und Ronnie an ihrem Pooltisch entdeckt.
22 Uhr 22.
Fettuccini steckt das Handy wieder ein, steht auf und geht zu den beiden hinüber. Zuerst klopft er Axel amikal auf die Schulter, dann sagt er was zu Ronnie. Ronnie grinst und nickt mit dem Kopf, drückt Fettuccini die Schlüssel zum Mörderhaus in die Hand und kriegt im Gegenzug ein paar Geldscheine, die Fettuccini aus der Hosentasche gezogen hat. Sie plaudern noch ein Weilchen, dann geht Fettuccini zurück an seinen Platz, bestellt sich den nächsten kleinen Espresso zu dem Glas Soda, das ihm das Barmädchen inzwischen hingestellt hat, und holt wieder das Handy aus der Tasche.
Sollte die Operation so verlaufen, wie sie soeben verlaufen ist, dann würde das nur seine These untermauern, daß es der Mörder war, der die Leiche wieder eingemauert oder weggeschafft hat, hatte mir Brunner bei der Vorbesprechung anvertraut.
Und dann muß es sich bei dem Täter um eine Person handeln, die genau Bescheid weiß über die Räumung und den Verkauf der Villa.
Also zum Beispiel der Frido Knapp, den Brunner aber als Verdächtigen nicht gelten lassen will. Weiß der Geier warum.
22 Uhr 37.
Fettuccini telefoniert. Brunner verlangt nach der Rechnung. Axel und Ronnie spielen Pool. Und ich gehe an ihren Tisch, ein flüchtiger Bekannter, der nur rasch Hallo sagen will. Ronnie versenkt eine Kugel nach der anderen und läßt sich durch mich nicht stören.
„Na, was war?“ frage ich Axel.
„Alles cool“, sagt er. „Der Fettuccini hat gemeint: saubere Arbeit. Und wenn er wieder einmal einen Job für uns hat, dann weiß er ja, wo er uns findet. Er heißt übrigens Marco.“
„Interessant“, sage ich. „Und was sagt er über das Haus?“
„Nix, was wir nicht eh schon wissen. Daß Landsleute von ihm einziehen werden in den nächsten Wochen. Und irgendwas, daß man bei denen ganz super essen kann. Nix Pizza. Irgendwelche italienischen Spezialitäten, wo ich nicht einmal die Namen verstanden hab.“
Also keine Mafia, ein anders organisiertes Verbrechen.
Was der dicke Marco nicht weiß, ist, daß zur Stunde Brunners Ex-Kollegen von der Spurensicherung den Keller der Sordi-Villa umgraben, nachdem der unbekannte Mörder das Loch in der Wand so fein säuberlich zugemauert hat.
22 Uhr 39.
Brunner hat bezahlt und geht jetzt knapp hinter uns vorbei zum Münztelefon.
„Also weißt, deinen Brunner hab ich mir auch ganz anders
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