Kurt Ostbahn - Platzangst
einfängt. Da sitz ich lieber in der Franz-Josefs-Bahn, draußen fällt leise der Schnee, herinnen läuft leise die Heizung auf Hochtouren, und . . .
Der Schaffner kommt. Wir sind die einzigen Passagiere in diesem Waggon, sagt er. Und daß bei dem Sauwetter kein Mensch da hinauffährt, wo wir hinwollen, der nicht unbedingt muß. Er muß leider, der Lokführer muß leider auch, und noch ein paar Schulkinder, aber die fahren nur bis Schrems. Ab da haben Brunner und ich dann den ganzen Zug für uns allein.
Ich glaub ja, er würde noch gern mit uns weiterplaudern, aber weder Brunner noch ich sind momentan in Gesprächslaune, und als der Schaffner gegangen ist, nicken wir einander nur stumm zu, und jeder zieht sich wiederum in sein Allerheiligstes zurück. Dort denkt Brunner über New Mexico und Frido Knapps fesche Hasen wahrscheinlich ganz anders nach als ich. Und ich denke an Axel und Ronnie, die ich nur schweren Herzens auf meiner Baustelle mit ihren Fliesentrümmern allein gelassen habe, nicht ohne ihnen allerdings einzuschärfen, daß sie ausnahmsweise höflich und zuvorkommend sein sollen, falls sich eine junge blonde Dame nach mir erkundigen kommt.
„Wie blond?“ grinste Ronnie. Und Axel versprach, Gitti Kaltenbeck auszurichten, daß mich dringende Geschäfte aus der Stadt geführt hätten und ich gleich nach meiner Rückkehr, vermutlich morgen, also samstags, bei ihr vorbeischauen würde. Kein Wort über den Totenvogel. Kein Wort über Iris Fabian und das Waldviertel. Kein Wort zu niemand. Auch nicht zu den Burschen, wie mit Brunner abgemacht.
Als ich die Augen wieder aufmache, hat Brunner eine Lesebrille auf der Nase und seine privaten Aufzeichnungen zusammen mit den Raubkopien der polizeilichen Ermittlungsakten über die ersten beiden Mumienfunde neben sich auf der Sitzbank ausgebreitet. Er schlichtet die losen Blätter nach einem mir nicht schlüssigen System, das irgendwie ans Pa-tiencenlegen erinnert, immer wieder um, schüttelt, mit dem Ergebnis unzufrieden, den Kopf, zieht an seiner Marlboro , und startet einen nächsten Versuch.
Ich schau ihm eine Weile schweigend zu.
„Der Allesbrenner“, sagt Brunner unvermittelt und nimmt seine Brille ab. „Der Scheißofen mit den Knochenrestin paßt ganz einfach nicht dazu. Während Sie ihren Schönheitsschlaf gehalten haben, Herr Doktor, hab ich mir die Arbeit des Burschen noch einmal angeschaut. Der Tätertyp ändert nicht seine Methode, und er hat seine ganz eigene, unverkennbare Handschrift. Die hinterläßt er an jedem Tatort wie einen Stempel, wie ein Autogramm. Und der Allesbrenner trägt nicht die Handschrift von unserem Totenvogel.“
„Sie meinen, im Knapp-Keller war nicht nur ein Mörder tätig?“
„Schaut so aus“, meint Brunner. „Ich setz ja sehr auf dem Dresch seine Ex. Wenn wir die heute zum Plaudern bringen, dann werden wir nachher sehr viel gescheiter sein, das weiß ich. Apropos: Ich wollt Sie nicht überfahren mit dieser Reise, Herr Doktor. Aber die Sache ist die: Die Dings, die Frau Fabian, muß nicht mit mir reden, wenn sie nicht will. Ich bin nur ein gewöhnlicher Pensionist. Ich hab keine Befugnisse mehr und keine Kompetenzen. Das werden wir ihr natürlich nicht unbedingt auf die Nase binden, aber so schaut’s de jure aus. Wenn aber der Herr Ostbahn mit mir vor ihrer Tür steht, dann haben wir den Prominentenbonus, und der kann Berge versetzen. Sie lassen ein bißl den Schmäh rennen und sagen ihr, was junge Damen halt gern hören, und den Rest mach ich dann schon.“
„Verstehe“, sage ich. Daß mich Brunner nicht wegen meiner kriminalistischen Fachkenntnis in Österreichs Kälteloch verschleppen will, war mir von Anfang an ziemlich klar. Aber daß er nur jemand braucht, der Iris Fabian durch seine prominente Anwesenheit die Zunge löst, wird wohl noch längere Zeit an mir nagen.
Ich mach mir das zweite Gösser auf und schau aus dem Fenster.
Es wird schon dunkel. Und die Österreichischen Bundesbahnen ziehen draußen ein Werbetransparent der transsibirischen Eisenbahn vorbei. Stille Nächte in der Taiga oder so.
21
„Das letzte Stück müssen die Herrn leider zu Fuß gehen“, sagt der mutige Fuhrunternehmer, der sich zu dieser Expedition vom Bahnhof in Litschau in die dicht verschneite Ödnis der Wälder unmittelbar an der Staatsgrenze überreden ließ.
Er zeigt auf ein schwaches Licht in der Feme. Dort ist Herrmannsschlag 7. Und dort, Kilometer von der nächsten menschlichen Behausung entfernt, wohnt Iris Fabian,
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